Auf Weihnachten legt keiner Wert

NEUKÖLLN Heute Abend hat „Ich geb dir gleich heilig“ Premiere, ein Stück mit zehn Laiendarstellern aus Neukölln. Es geht um Religion, um Konflikte und Klischees. Die taz spazierte mit dreien der Darsteller durch den Kiez

In der Weserstraße stellen wir fest, dass wir bei dieser Kälte viel lieber am Strand von Tel Aviv wären

VON ANDREAS BECKER

Zu dritt stehen die Schauspieler im Schnell&Sauber-Waschsalon in der Neuköllner Reuterstraße. Das ist eine erklärte Hypemeile und gleichzeitig bundesweit bekannte Problemgegend: Sarrrrrrazin! Aber von alldem ist hier mittags nicht viel zu spüren. Zwei Waschmaschinen und eine Schleuder verrichten laut ihren Dienst. Sollte hier jemand spanisch oder englisch sprechen, man würde eh nix verstehen. Ob sich in diesem unromantischen Waschsalon auf den unbequemen Blechbänken tatsächlich manchmal Leute kennenlernen, weil ihre dreckigen Klamotten nebeneinander in Maschine 14 und 15 rotieren?

In solch einem Schuppen – auf der Bühne nachgebaut mit gebrauchten Industriewaschmaschinen – spielt das neue „Volkstheaterstück“ von Anne Verena Freybott und Stefanie Aehnelt: „Ich geb dir gleich heilig“. Zehn Laiendarsteller aus Neukölln versuchen, „religiöse Konflikte“, Klischees oder Vorurteile auf der Bühne darzustellen, die aus rund 40 Interviews mit „ganz normalen“ Leuten extrahiert wurden. Und auch die Biografien der Beteiligten flossen ein.

Die drei Darsteller Evelyn Gesche, Raj Gautam und Erdam Secmen stehen jetzt vor einer der Waschmaschinen und posieren für Fotos. Religiöse Konflikte scheinen sie im Moment nicht zu haben. Sie sollen sich unterhalten oder am besten streiten, damit die Fotos lebhafter aussehen. „Ihr Juden seid doch sowieso geizig“, sagt der 20-jährige Muslim Erdam in das Auslaufen der Schleuder. Die Jüdin Evelyn schimpft zurück, sagt irgendwas über fiese Schächtungen. Der Lärm von Maschine 14 verschluckt die Hälfte ihres Satzes. Die Inderin Raj, geboren in Kalkutta, ausgewandert 1969 nach Stuttgart, zieht ihr Halstuch zurecht. Sie wohnt jetzt glücklich in einer Mehr-Generationen-Frauen-WG in Britz und greift fotogen lächelnd in ein Wäschestück. Sie hat nicht viel Text in dem Stück.

Deshalb wundern sich ihre zwei Mitspieler später im sonnigen Café im vierten Stock von Karstadt/Hermannplatz, dass sie so lebhaft erzählt. Sie ist Hindu aus der Kaste der Brahmanen. „Wir legen sehr viel Wert auf Bildung. Nicht auf Materielles.“ Sie versucht uns die hinduistische Welt- und vor allem Menschensicht zu verklickern. Manchmal geht sie zum Beten in den noch nicht fertiggestellten Tempel am Rande der Hasenheide. Aber sie würde auch in einer Kirche oder Moschee beten. Raj Gautam hat erst einmal auf einer Bühne gestanden, da hat sie die Seifenblasen für den „Kleinen Prinzen“ fabriziert.

Jetzt will aber auch Evelyn Gesche mal zu Wort kommen. Die ist jetzt Rentnerin, war früher Lehrerin an einer jüdischen Schule. Ist zwar auch Amateurin, hat aber schon öfter geschauspielert. In der Weserstraße, als wir zu Karstadt laufen, erzählt sie begeistert von Israel. Wir stellen fest, dass wir bei dieser elenden Kälte viel lieber am Strand von Tel Aviv wären. Frau Gesche erzählt, dass sie früher Christin war, sie ist als Kind konfirmiert worden. Dann aber hat sie ihre jüdischen Wurzeln entdeckt durch Recherchen über ihre Großmutter. „Da war für mich klar, ich bin Jüdin.“ Allein wegen ihres Humors habe ihr das auch jeder sofort geglaubt.

In dem Stück geht es zwar um Religion, aber nicht unbedingt um die eigene. Die Inderin Raj ist auf der Bühne Muslimin, darf dann aber zwischendurch die Perspektive wechseln und erzählen, dass sie selbst Hindu ist. Erdam Secmen, erst zwanzig und aus dem Rollbergviertel, spielt wiederum keinen Muslim, sondern einen Buddhisten. Im Karstadt-Café erzählt er, wie er sich mit 16 in ein „deutsches“ Mädchen verliebt hat. Seine türkischen Eltern waren zuerst dagegen. Die Liebe hat trotzdem ein Jahr gehalten, dann hätten seine Eltern doch irgendwie recht behalten.

Ich frage die drei, ob Sarrazins Thesen für sie eine Rolle spielen. Eigentlich nicht, meinen alle lakonisch. So besonders politisch sei das Stück auch nicht. Das hätten die Macher nicht gewollt. Lustig ist, dass alle drei keinen großen Wert auf Weihnachten legen. Das Stück spielt ja an Heiligabend. Raj Gautam hasst Weihnachten richtig, und das soll man auch ruhig schreiben. Ist ihr viel zu oberflächlich und materialistisch. Sie macht eine dankbare Frau mit Geschenk nach, die sich in Wirklichkeit gar nicht freut. Ein Karstadt-Gast kuckt rüber.

Auch Frau Gesche wird eher Chanukka feiern, und bei Familie Secmen wird am 24. nur sehr begrenzt gefeiert und geschenkt. Erfreut über das heftige Flirren der Religionssignifikanten sehe ich auf dem Rückweg zur Weserstraße ein „Verhindert Weihnachten“ Plakat. Machen wir!

■ „Ich geb dir gleich heilig“. Im Pier 9, Hasenheide 9 im Hinterhof, Premiere heute, 3. 12., 20 Uhr, weitere Termine: 4., 9., 10., 11., 16. , 17., 18. Dezember, jeweils 20 Uhr