: Weiter, weiter, immer weiter
So entspannt wie ernsthaft eröffnet der Berliner Musiker Jan Jelinek mit seinem neuen Album „Tierbeobachtungen“ den nächsten Abschnitt seines Soundgeheges
Der Hype um elektronische experimentelle Musik, Laptop-Geräusche und digitale Neuaneignungen von Avantgardistischem oder Obskurem ist einigermaßen passé. Und von der großen Krise des Tonträgergeschäfts sind auch die kleinen Labels des experimentellen Bereiches betroffen. Trotzdem hört man sie selten in die Opfer-Leier mit einstimmen, obwohl sie bestimmt auch nicht immer wissen, wie sie ihre ganzen schönen Sounds ökonomisch verbreiten sollen. Dazu stellt sich selbst für die geneigtesten Konsumenten die Frage: Wer soll das denn alles noch hören? Wie viele Feedbackloops finden den Weg ins Ohr, wie viele Clicks and Cuts passen in einen Kopf?
Der Berliner Jan Jelinek ist einer der wenigen, der sich von jedweder Krise als auch der inflationären Menge musikalischer Produktionen distanziert hat. Sein Name ist – nicht nur national – bekannt, seine Arbeiten unter Kritikern des Genres beliebt. Mit smart gesetzter Spezifizität vertraute er nie auf Effekte und arbeitete sich mit entspannter Ernsthaftigkeit an Genres wie Jazz, Krautrock oder Postrock ab. Subtile Grooves, die er aus minimal verschobenen Samples oder dem ein oder anderen selbst hergestellten Sound einfügte, gehören zum Programm und helfen beim Zugang. Auch Kollaborationen mit Live-Musikern, wie den Postrockern von Triosk sind so unaufgeregt wie gelungen.
So stellt sich bei Jelineks neuem Album natürlich die Frage, was als Nächstes passiert. Viele Künstler des Electronic Listening, inklusive Top-Stars wie Aphex Twin, wurden von neuen musikalischen Strömungen überholt und schafften es nicht, sich neu zu erfinden. Aber vielleicht wollten sie das auch gar nicht – so könnte jedenfalls Jan Jelineks Position mit seiner neuen Platte „Tierbeobachtungen“ gelesen werden. Anstatt großer Konzepte oder musikalischer Primär-Referenzen nun eine lockere Session, intim und persönlich – während der Umzugsvorbereitungen zum neuen Studio eingespielt, versammeln sechs Tracks Jelineks klassische Stärken: unkonventioneller Ambient ohne Lounge-Klischee, krautige Soundschlieren, Geschmackssicherheit und eine wavige Romantik, die sich eher in der Identifikation mit dem musikalischem Material als stereotypen Soundbildmetaphern abspielt.
Natürlich ist das Tier-Motiv aus dem Titel etwas abgedroschen, gar ein Allgemeinplatz, auf den sich in der poststrukturalistischen Philosophie von Giorgio Agamben oder Gilles Deleuze genauso bezogen wird wie auf zeitgenössischen deutschen Pop-Alben von Kante und Blumfeld. Doch Jelinek ist zu zurückhaltend, um daraus ein posthumanes Manifest zu zimmern. Lieber beobachtet er sein kleines Soundgehege und züchtet genüsslich weiter kleine Klangkreaturen, wie man sie aus seinem künstlerischen Korpus kennt. TIM STÜTTGEN
Jan Jelinek: „Tierbeobachtungen“ (Scape/Indigo)