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Archiv-Artikel

Krieg und Comedy

SÜDKOREA Angst vor einem Krieg mit Nordkorea? Ja. Aber schon wenige Tage nach dem Granatbeschuss ist bei den Studenten der Universität im südkoreanischen Daegu wieder der Alltag eingekehrt

„Lass uns Billard spielen gehen, nächste Woche, nach den Prüfungen“

AUS DAEGU ALEXANDER KOHN

Es gibt Krieg“, ruft Na Hye, zwei Stunden nachdem die ersten nordkoreanischen Artilleriegeschosse auf einer südkoreanischen Insel im Gelben Meer eingeschlagen sind. „Die können doch nicht einfach auf uns schießen“, sagt die Musikstudentin. Sie zittert. Ihre Freundin Yun Jeong beruhigt: „Ach was, das ist nichts Großes“, meint die VWL-Studentin. „Die Nordkoreaner wollen davon ablenken, dass Kim Jong Il gerade die Macht an seinen Sohn übergibt, mehr nicht.“

Am Abend zuvor haben wir uns zum Kaffeetrinken verabredet, an einem ganz normalen Montagabend. Und jetzt soll plötzlich Krieg sein? Niemand weiß, was passieren wird. Wir sind nervös. Yun Jeong traut der Presse nicht: „Wer weiß, was an der Grenze wirklich los ist, die Reporter zensieren sich doch selbst, um es sich nicht mit dem Geheimdienst zu verscherzen.“

Zum ersten Mal, seitdem ich im August nach Südkorea gekommen bin, habe ich den Eindruck, dass sich die Menschen um mich herum für Politik interessieren. Hier auf dem Campus in Daegu der Stadt mit 2,5 Millionen Einwohnern im Süden des Landes, wo ich für ein Semester studiere, haben die Studenten selbst während des G-20-Gipfels neulich in Seoul fast nur Comedy oder Herzschmerzserien gesehen, in Cafés, Geschäften oder in der Mensa. Aber heute laufen die Nachrichten: brennende Häuser, Explosionen, Archivbilder von feuernden südkoreanischen Kriegsschiffen oder Raketenstellungen in den Bergen. Alle schauen gebannt die Nachrichten. Niemand spricht, eine angespannte Stimmung, leere Blicke. In der Mensa, wo 400 Menschen vier Stunden nach den ersten Granateinschlägen essen, ist es ebenfalls ungewöhnlich still. Über uns fliegen Kampfjets, die auf dem Flughafen am Stadtrand drei Kilometer östlich des Campus starten. Fast jeden Tag fliegen sie ihre Übungen, und es dröhnt so laut, dass man beinahe schreien muss, um sich noch unterhalten zu können. „Wenn ein Krieg ausbricht, muss ich zum Militär“, sagt Sung Jun. Der Physikstudent hat, so wie es für junge Südkoreaner Pflicht ist, vor dem Studium zwei Jahre bei der Armee gedient. Er sagt: „Wenigstens müsste ich dann nicht direkt an die Front, sondern kann hier in Daegu einen Verwaltungsjob machen, weil ich zweimal befördert wurde.“ Was hält er von den heutigen Manöverübungen der südkoreanischen Marine im Gelben Meer nahe der nordkoreanischen Küste, die von Pjöngjang als Provokation bezeichnet wurden und worauf der Beschuss der südkoreanischen Insel Yeonpyeong folgte? Das sei bloß eine harmlose Übung gewesen, die es so schon öfters gegeben habe, sagt Sung Jun: „Wir dürfen innerhalb unserer Grenzen machen, was wir wollen. Aber die Nordkoreaner haben auf uns geschossen, auf Zivilisten.“ Als der nordkoreanische Diktator Kim Jong Il im Fernsehen gezeigt wird, flucht er, löffelt seine Suppe aus und verabschiedet sich: „Ich muss lernen, nächste Woche sind Prüfungen.“

Auch am Abend bleibt es ruhig auf dem Campus, nirgendwo kommen Menschenmengen zusammen, keine Megafone sind zu hören. Während der nächsten Tage verteilt niemand Flyer, an den zentralen Plätzen werden keine Transparente aufgehängt. Am Mittwoch, einen Tag nach dem Artilleriegefecht, scheint der Alltag wieder eingekehrt zu sein. Prüfungsstress ist das Hauptthema der meisten Studenten. Die Medien berichteten von kleineren Demonstrationen. Vor allem alte Veteranen des Koreakriegs (1950 bis 1953) verbrennen nordkoreanische Flaggen und äußern Unmut darüber, dass Südkorea weniger Geschosse abgefeuert habe als der Norden, dass Südkorea nicht hart genug reagiert habe. Sang Hyun, der Englisch auf Lehramt studiert, sieht keinen Grund dafür, auf die Straße zu gehen: „Der Status quo ist schon seit fast 60 Jahren so, es gibt immer wieder Zwischenfälle und die Lage scheint dann beinahe zu eskalieren. Das gestern war mehr als einer der vielen kleinen Zwischenfälle, aber ich glaube nicht, dass es Krieg geben wird in Korea.“ Trotzdem habe er Angst, sagt er und erzählt von seinem Albtraum der letzten Nacht: „Übel, schlimmer als jeder Kriegsfilm.“

Nun, einige Tage nach dem Artilleriegefecht, läuft wieder Unterhaltung in den vielen Fernsehern, nur hier und dort Nachrichten: Bilder von einem US-Flugzeugträger, der im Gelben Meer gemeinsam mit den südkoreanischen Streitkräften eine Übung durchführt. Zwar drohen Militärs im Norden erneut mit unvorhersehbaren Folgen, doch von der angespannten Stille vom Tag des Granatbeschusses ist auf dem Campus nichts zu spüren. Woo Sik zeigt auf den Fernseher: „Schau doch, wir sind sicher.“ Dass in Seoul Verteidigungsminister Kim Tae Young zurückgetreten ist, als Folge für die mangelhafte Einsatzbereitschaft des Militärs, dazu möchte sich der Englischstudent nicht äußern.

In Südkorea sind viele politikverdrossen. Anders als an deutschen Unis gibt es hier weder studentische Parteien noch einen Asta. Zwar wird ein Studierendenpräsident gewählt, der im Wahlkampf von ein paar Freunden unterstützt wird, doch Gelder oder gar Mitspracherechte stehen dem Gewählten nicht zur Verfügung. Wie die meisten hat auch Woo Sik nicht gewählt: „Wofür, der schafft es vielleicht, ein bisschen mehr Geld von der Verwaltung für ein kleines Konzert im Sommer zu erbitten, aber mehr auch nicht.“ Wie es mit der Hochschulpolitik weitergehen soll? Woo Sik zuckt die Achseln: „Da bin ich genauso ratlos wie mit Nordkorea.“ Er denkt kurz nach, dann grinst er: „Lass uns Billard spielen gehen, nächste Woche, nach den Prüfungen.“

Alexander Kohn, 21, aus Hamburg, studiert seit August dieses Jahres in Südkorea. Er war im April 2009 Teilnehmer des ersten Workshops der taz Panter Stiftung, die sich der Förderung des journalistischen Nachwuchses verschrieben hat.