: Das Montagsinterview„Bäuerlich ist ein Kampfbegriff“
Früher hat Eckehard Niemann Bullen gemästet – nicht auf artgerechte Weise. Als die Einsicht kam, begann er zu kämpfenROMANTIK ODER REALISMUS Von der Lüneburger Heide aus setzt sich Eckehard Niemann für ein Ende der Qualhaltung von Masthühnern ein – und für bäuerliche Prinzipien in der EU-Agrarpolitik. Nur so könnten die Welternährungsprobleme gelöst werden, glaubt er. Von der Macht der Konzerne lässt er sich nicht entmutigen
■ 62, ist Mitbegründer und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, war Bauer, Landwirtschaftslehrer, Mitarbeiter beim Hamburger Landwirtschaftssenator und Agrar-Campaigner für Greenpeace.
INTERVIEW BENNO SCHIRRMEISTER
taz: Herr Niemann, sind Sie ein Romantiker?
Eckehard Niemann: Nein, wieso das denn!
Wegen Ihres Kampfs – wenn das Wort „Kampf“ passt?
Ja, natürlich passt das!
Na, und Ihre Gegner von der Agrar-Industrie sagen: Die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft, diese AbL, das ist bloß Bauernromantik.
Ach so. Ja, das glaube ich. Aber da liegen die ja offenkundig falsch. Gerade erst hat das doch der Welt-Agrarbericht deutlich gemacht: Die Lösung von Landwirtschafts- und Hunger-Problemen der Erde liegt nicht in der Agrar-Industrie, sondern in einer bäuerlichen Landwirtschaft. Die wäre am rentabelsten, am ökologischsten und würde die meisten Arbeitsplätze schaffen. Bauern bilden in Europa den Mittelstand der Landwirtschaft. Und sie spielen eine wichtige Rolle in den Dörfern.
Wie in der guten alten Zeit.
Mit Romantik hat das trotzdem wenig zu tun. Bauern wirtschaften im Gegenteil sehr realistisch: Wenn die Subventionen wegfielen, würden nicht sie auf der Strecke bleiben, sondern die Großbetriebe. Wir fordern deshalb auch, Subventionen künftig an gesellschaftliche Leistungen zu koppeln, für die Umwelt oder den Arbeitsmarkt – und nicht mehr an die Flächen.
Mastanlagen verbrauchen doch kaum Flächen?
Das ist richtig. Es gibt aber beides – Agrarkonzerne, die darauf setzen, viel Boden zu erwerben, wie die Hamburger KTG Agrar AG. Deren Gewinn entspricht in etwa der Höhe ihrer Subventionen. Es gibt aber auch die fast flächenunabhängige Mast-Industrie: Die holt das Futter aus Brasilien und braucht hier nur Standorte und Platz für die Gülle.
Und was wäre bäuerlich?
Das beinhaltet eine ganze Reihe von Kriterien – etwa, dass bäuerliche Landwirtschaft von Bauern, also von Familien oder ähnlichen solidarischen Gruppen betrieben wird. Daraus folgt eine bestimmte Art von Nachhaltigkeit und eine Absage an kurzfristigen Profit: Bauern denken in Generationen, Kreisläufen und Fruchtfolgen. Darum fordern wir auch, dass Leguminosen 20 Prozent der Fruchtfolge ausmachen sollen.
Legummi-was?
Leguminosen. Das sind stark eiweißhaltige Pflanzen, die sich gut als Tierfutter eignen, wie Lupinen, Klee oder Ackerbohnen. Das ist eine unserer konkreten Forderungen für die gemeinsame Agrarpolitik der EU, die kommendes Jahr neu formuliert wird. Dazu wird es von uns eine Kampagne geben. Sie startet am 22. Januar in Berlin mit einer Großdemo gegen Gentechnik, Agrarfabriken und Exportsubventionen.
Was hat das mit Lupinen zu tun?
Mit der Leguminosen-Forderung drängen wir auf eine eigene Futtergrundlage statt importiertem Gen-Soja. Das ermöglicht eine gewisse Unabhängigkeit, die auch ein wichtiges Merkmal bäuerlicher Landwirtschaft ist …
… und die es nur bis zu einer gewissen Größe gibt?
So ist es.
Aber zum Beispiel dieser Geflügelmäster in Sprötze, mit der abgebrannten Anlage: Der hat ja einen klassischen Familien-Hof – und wäre kein Bauer?
Im Sektor agrarindustrieller Geflügelmast verlässt er das bäuerliche Prinzip – und macht sich zum kleinen Rädchen in der Politik der Agrar-Konzerne. Die bestimmen alles: Die liefern ihm Futter, Küken, Medizin und nehmen ihm die fertig gemästeten Hühner ab. Die schalten ihn nur dazwischen, weil er Selbstausbeutung betreibt und für sie das gesamte Risiko trägt. Dabei macht er den Markt kaputt für seine Kollegen, die Hähnchen auf artgerechte Weise halten.
Und wird so zum Bösewicht?
Der Mann ist nicht unser Gegner. Wir vertreten diese Familie sonst in allen Belangen. Aber bäuerliche Landwirtschaft ist eben auch ein Kampfbegriff. Das muss durchgesetzt werden und bleibt auch nicht im Selbstlauf erhalten. Wir leben ja nicht in einer idyllischen Welt. Es müssen Menschen dahinterstehen, die diese Form praktizieren und für ihren Erhalt kämpfen.
Und Sie als Nicht-Bauer?
Ich war ja Bauer.
Aber einen Tierhof hatten sie nicht?
Doch, ich habe hier im Landkreis Uelzen einen Hof geerbt. Der ist jetzt verpachtet. Als ich noch Bauer war, habe ich da Bullen gemästet, und zwar auf eine nicht artgerechte Weise. Ich habe das damals nicht hinterfragt – über den ganzen Sorgen des Betriebes. Erst als ich von außen angestoßen worden bin, durch Leute, die mich besuchten, habe ich darüber nachgedacht – und mich dann verändert. Heute sind wir da weiter: Damals gab es diese Debatte noch nicht.
Die haben Sie losgetreten?
Nein – ich bin da nur einer von ganz vielen. Aber ich bin stolz, da mitarbeiten zu können und darauf, dass wir Ende der 1970er-Jahre die AbL gegründet haben.
Warum?
Wir fühlten uns nicht mehr vom Bauernverband vertreten. Der kungelte nur noch mit der Agrarindustrie. Uns ging es um eine Interessenvertretung für Bauern, ob konventionell oder öko, für kleine und mittlere Betriebe – und für alle Bauern.
Kleine, mittlere und alle?
Ja, gegen den Trend, die Interessen von Bauern in Brasilien oder Frankreich gegen die deutschen auszuspielen. Wir setzen auf Solidarität – und eine sozial akzeptable Landwirtschaft.
Anders als die industrielle Geflügelmast, die Sie die ekelhafteste Form der Tierhaltung nennen?
Die hässlichste. Es ist die hässlichste Form der Tierhaltung, nachdem wir die Käfighaltung abgeschafft haben. Das liegt zum Beispiel daran, dass in solchen Mastfabriken 22 qualgezüchtete Tiere auf dem Quadratmeter zusammengepfercht sind.
Qualgezüchtet?
Qualgezüchtet heißt: Sie sind einseitig auf Brustwachstum gezüchtet. Ihr Herz-Kreislauf-System ist dem nicht gewachsen, Skelett und Beine auch nicht: Gegen Ende der Mast haben diese Hühner ernste Probleme, zu stehen. Zumal rund 70 Prozent unter schmerzhaften Fußballenentzündungen leiden.
Wegen der unnatürlichen Gewichtsverteilung?
Nein, vor allem dadurch, dass die Tiere während der gesamten Mastdauer in ihren eigenen Ausscheidungen stehen.
In der Hühnerkacke? Wieso macht da keiner sauber?
Da ist ja gar kein Platz mehr zum Nachstreuen – bei 40.000 zusammen gewachsenen Tieren. Das ist eine Form, die ist überhaupt nicht mehr vorzeigbar …
Das Fleisch wird aber gekauft, wie wollen Sie das verhindern?
Dem, der weiß, woher es kommt, schmeckt Fleisch aus Qualzucht ohnehin nicht: Noch werden viele an der Kühltheke schwach. Ein Fortschritt wäre da schon, wenn die Haltungsbedingungen auf der Verpackung deklariert werden müssten. Aber letztlich gehört diese Qualhaltung verboten.
Das soll möglich sein?
Aber ja. Das hat doch der Erfolg bei der Käfighaltung gezeigt. Es gäbe auch keinen Aufschrei, keinen Titel in der Bild-Zeitung: ‚Irre Tierschützer und durchgeknallte Bauern nehmen uns Hähnchenschnitzel weg!‘
Obwohl Fleisch teurer würde?
Würde es nicht.
Das Industrie-Fleisch ist doch sensationell billig!
Aber doch nur im Laden: Den Preis für die industrielle Produktion zahlen die Verbraucher nicht im Supermarkt. Deren Kosten tragen die Steuerzahler, die Tiere, die Umwelt und die armen Länder.
Nur wäre dann nicht mehr weltmarktfähig, was hier produziert wird.
Ist es ja ohnehin nicht. Der Weltmarkt ist bloß eine Halde subventionierter Überschüsse, die Länder wie Brasilien zudem viel billiger mit Geflügel beliefern können …
… die Europa dann mit Hähnchenbrust überschwemmen?
Die Gefahr besteht nicht. Frischgeflügel kann Brasilien gar nicht zu unseren Standards exportieren. Natürlich müsste auch dort bäuerliche Landwirtschaft durchgesetzt werden. Gerade in Brasilien ist die Fleischindustrie zur mächtigen Institution geworden. Die Frage nach bäuerlicher Landwirtschaft stellt sich weltweit.
Ist das nicht entmutigend?
Im Gegenteil, das ist ermutigend: Wir arbeiten mit ganz vielen Menschen und Bauern in aller Welt zusammen – und können sie auch dadurch unterstützen, dass wir hier auf heimische Futterpflanzen zurückgreifen.
Das soll die unterstützen?
Das ist ja das Schöne: Wenn sich der Absatz für Gen-Soja reduziert, verringert das auch den Drang der brasilianischen Agrar-Industrie, die Bauern zu verdrängen. Das hängt zusammen. Die Interessen der Bauern hier sind identisch mit denen der Bauern in Brasilien.