: Showdown der Alphamännchen
ITALIEN Beppe Grillo schließt sich den Nazi-Anfeindungen gegen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz an – und trifft damit die Stimmung vieler italienischer Wähler
GRILLO ÜBER SCHULZ
AUS ROM MICHAEL BRAUN
An verbale Prügel aus Italien ist Martin Schulz gewohnt. Prügel wie diese: „Berlusconi lag nicht ganz falsch, als er ihn als Kapo bezeichnete.“ Ungewohnt war allerdings die Ecke, aus der am Wochenende die Solidaritätsadresse für den früheren Ministerpräsidenten kam. Niemand anderes als Beppe Grillo, Chef der MoVimento 5 Stelle (M5S), der 5-Sterne-Protestbewegung, ging Schulz, den Präsidenten des Europaparlaments und Spitzenkandidaten der europäischen Sozialisten bei der EP-Wahl, frontal an.
Vordergründig reagierte Grillo damit auf ein Zeitungsinterview von Schulz im Corriere della Sera. „Bloß Wind“ sei die M5S, hatte der deutsche Politiker da erklärt. Grillo erinnere ihn mit seinem autoritären Führungsstil an Stalin „oder Chávez“. Grillo keilte auf seinem Blog zurück, erinnerte daran, dass schließlich Deutschland den Pakt mit Stalin geschlossen habe – und returnierte: Demnächst werde halt kräftiger „Südwind“, womöglich gar ein „Hurrikan“ Richtung Brüssel blasen.
Von allen Seiten gegen Merkel-Europa
Der einstige Komiker weiß, dass er damit in der italienischen Wählerschaft auf eine verbreitete Stimmung trifft. Denn der 25. Mai wird in Italien zum Showdown zwischen drei Alphamännern, die sich allesamt als Retter des Vaterlands stilisieren: Matteo Renzi, der seit Februar amtierende Ministerpräsident und Chef der gemäßigt linken Partito Democratico (PD), Silvio Berlusconi, trotz Verurteilung und zwangsweiser Ableistung von Sozialstunden weiterhin Chef der Rechten – und schließlich Beppe Grillo. So weit die drei auseinanderliegen, so sehr setzen alle miteinander auf Kritik an Merkel-Europa, auf das Versprechen einer Wende.
„Kurswechsel in Europa“ fordert Renzi einigermaßen vorsichtig. Und meint damit: weg von der Austerität, hin zu neuer Wachstumsorientierung. Beim Wahlvolk allerdings punktet der 39-jährige Renzi vor allem mit unmittelbaren Wohltaten: Ende Mai werden etwa zehn Millionen Arbeitnehmer dank eines Abschlags bei der Lohnsteuer, der für Jahresbruttoeinkommen zwischen 8.000 und 25.000 Euro gilt, netto 80 Euro mehr pro Monat verdienen.
Der Gestus des zupackenden Reformers trug Renzi auf ein Popularitätshoch, das seiner PD in den gegenwärtigen Umfragen zwischen 33 und 35 Prozent der Stimmen verheißt.
Berlusconi, der zwecks Strafverbüßung immer freitagnachmittags Alzheimerkranke betreuen muss, zieht den großen Rest der Woche von einem TV-Studio zum anderen und führt einen Wahlkampf mit klar nationalen Tönen. Er fordert „Mehr Italien, weniger Deutschland in Europa“ – eine Rhetorik, die nicht auf die Rechts-links-Spaltungen zu Hause, sondern auf die Trennlinie Nord-Süd in Europa abhebt. Merkel oder Schulz – das macht für Berlusconis Forza Italia (FI) keinen Unterschied. Ihm geht es um ein Europa, in dem nicht mehr „die Deutschen“ kommandieren sollen. Doch Berlusconi ist sichtlich angeschlagen. Mehr als 20 Prozent sind für seine FI wahrscheinlich nicht drin.
Je 5 Prozent könnten dagegen zwei Allianz-Partner Berlusconis erreichen, die – anders als FI – rundheraus Italiens Ausstieg aus dem Euro fordern und auf der europäischen Bühne offen mit der Französin Marine Le Pen und dem Niederländer Geert Wilders kokettieren: die stramm rechte, von Ex- und Nochfaschisten getragene Fratelli d’Italia und die nordseparatistisch-fremdenfeindliche Lega Nord.
Frontalangriff auf die politische Klasse
Starken Rückenwind hat aber vor allem Grillos M5S. Der Slogan ihrer Kampagne lautet: „Mehr Italien in Europa!“ und ist damit sowohl ein Frontalangriff auf die politische Klasse daheim wie auf das „deutsche Europa“. Das lässt sie zum Sammelbecken der Unzufriedenen, der Krisenverlierer und Perspektivlosen werden. Ihre zentrale Forderung ist, die europäischen Verträge, angefangen bei Stabilitäts- und Fiskalpakt, neu zu verhandeln. Sollte Brüssel nicht mitmachen, soll ein Referendum über den Verbleib Italiens im Euro folgen.
Schon jetzt verheißen die Meinungsforscher der M5S 25 Prozent der Wählerstimmen, Tendenz steigend. Unter den Jungwählern bis 25 Jahre liegt M5S sogar schon bei 40 Prozent; mehr als 30 Prozent darf sie auch in den ärmsten Regionen wie Sizilien oder Sardinien erwarten. Mit 40 und 37 Prozent weit überproportional sind die Fünf Sterne landesübergreifend bei Arbeitern und Arbeitslosen vertreten.
Grillo gibt sich sicher: „Wir siegen!“ hat er seine Kundgebungstour getauft. Angesichts der ungebrochen hohen Popularität Renzis sind Zweifel daran erlaubt. Doch dass diese Wahl zum Zweikampf Renzi gegen Grillo wird, während Berlusconi abgeschlagen mit einem dritten Platz vorliebnehmen muss, darf als ausgemacht gelten.