: Koalition wagt mehr Demokratie
SPD und CDU lehnen das Volksbegehren für ein neues Wahlrecht weiter ab. Gleichwohl wollen sie den Gesetzentwurf jetzt umsetzen. Sie kommen damit einem Referendum im Mai zuvor
von Jan Zier
Es ist das erste Mal in 60 Jahren, dass sich in Bremen ein Volksentscheid durchgesetzt hat: Die Landesvorstände von SPD und CDU haben am Montagabend überraschend beschlossen, dem Gesetzentwurf der Wahlrechtsinitiative „Mehr Demokratie“ in der Bürgerschaft zuzustimmen. Damit entfiele die für den 13. Mai – parallel zur Bürgerschaftswahl – geplante Abstimmung. Nach einem neuen Wahlrecht gewählt wird jedoch erst im Jahr 2011.
Bislang hatten SPD und CDU die Ziele des Volksbegehrens stets abgelehnt. „Im Respekt vor der beachtlichen Beteiligung sind wir jedoch bereit, unsere Bedenken zurückzustellen“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung der beiden Landesvorsitzenden und Bundestagsabgeordneten, Uwe Beckmeyer (SPD) und Bernd Neumann (CDU).
Die InitiatorInnen des Volksbegehrens hatten im Oktober insgesamt 71.365 Unterschriften eingereicht. Diese werden derzeit noch auf ihre Gültigkeit hin überprüft. 48.175 UnterstützerInnen reichen jedoch aus, um ein Referendum zu erzwingen.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass die WählerInnen statt bisher nur einer künftig fünf Stimmen verteilen dürfen. Und das sowohl auf mehrere Parteien als auch auf verschiedene KandidatInnen (“panaschieren“). Auch ein Häufeln (“kumulieren“) von Stimmen zugunsten von einzelnen KandidatInnen soll künftig möglich sein. Allerdings kann man in jedem Fall, wie bisher auch, lediglich bei einer Partei sein Kreuzchen machen.
Beckmeyer und Neumann halten dieses anderswo bereits übliche Wahlverfahren nach wie vor für zu kompliziert und befürchten eine geringere Wahlbeteiligung sowie mehr ungültige Stimmen. Zudem hätten es SeiteneinsteigerInnen und jüngere KandidatInnen aufgrund „naturgemäß geringerer Popularität“ künftig schwerer, ein Mandat zu erringen.
All diese Bedenken müsse man jetzt zurückstellen, sagte der Sprecher der Bremer CDU. „Denn natürlich haben wir großen Respekt vor der Bürgerinitiative.“ Eine „beachtliche“ Zahl von BürgerInnen wünsche sich einen größeren Einfluss auf die Zusammensetzung der Parlamente, schreiben die Parteioberen aus Berlin. „Diesem Wunsch wollen wir entsprechen.“
Ähnliches war von Björn Tschöpe zu hören, ehemals SPD-Obmann im Wahlrechtsausschuss der Bürgerschaft: „Wir müssen den Bürgerwillen ausgesprochen ernst nehmen.“ Die jetzige Entscheidung sei aber eine der Partei, nicht der Fraktion, so Tschöpe. „Und ich habe auch keine Probleme damit.“
Paul Tiefenbach, Vertrauensmann von „Mehr Demokratie“, begrüßte die „späte Lernfähigkeit“ der Landesvorstände von SPD und CDU. Zugleich forderte er, ebenso wie die FDP, das neue Wahlrecht bereits zur kommenden Wahl einzuführen. Rechtlich sei das möglich, glaubt Tiefenbach – die große Koalition ist da anderer Meinung. Dennoch kündigte die CDU an, den Gesetzentwurf „noch in diesem Jahr“ umsetzen zu wollen. In Hamburg, wo sich 2004 ein ähnliches Volksbegehren durchsetzte, kassierte es die CDU mit ihrer Bürgerschaftsmehrheit wieder.
Ungeteilt ist die Freude über den jetzigen Erfolg bei der Bürgerinitiative indes nicht. Sie hätte die WählerInnen lieber abstimmen lassen. Schließlich entsprechen auch mehr als 70.000 Unterschriften für ein Referendum noch keiner Mehrheitsentscheidung. Für Tiefenbach sind SPD und CDU „unsportlich“. Und auch „ein bisschen feige.“