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Archiv-Artikel

Freispruch für Dogan Akhanli

URTEIL Der deutschtürkische Schriftsteller wird aus der Untersuchungshaft entlassen. Doch die Verteidigung spricht in dem umstrittenen Prozess wegen angeblicher Terrorbeteiligung vor mehr als zwei Jahrzehnten nur von einem Etappensieg

ISTANBUL taz | Am Ende brandete Jubel auf. Der deutschtürkische Schriftsteller Dogan Akhanli wird aus der U-Haft entlassen. Der dringende Tatverdacht wurde vom Gericht aufgehoben, allerdings wird der Prozess im März fortgesetzt. Aus Sicht der Verteidigung ein halber Sieg. „Das ist ein wichtiger Schritt zum Freispruch“, sagte sein deutscher Verteidiger Ilyas Uysal nach dem gestrigen ersten Prozesstag. Für die Freunde und Unterstützer von Dogan Akhanli, die zahlreich zu dem Prozess aus Deutschland nach Istanbul angereist waren, ist es dennoch eine kleine Enttäuschung. „Ich kenne Dogan Akhanli sehr gut. Er ist Pazifist wie ich auch. Ich bin sicher, dass er nicht geschossen und keinen Mord begangen hat und die Vorwürfe gegen Dogan völlig haltlos sind“, sagte Delegationsmitglied Günter Wallraff schon vor der Verhandlung. „Wenn es hier nur ein bisschen rechtsstaatlich zugeht, müsste Dogan sofort freigesprochen werden.“

Doch das Gericht nimmt sich Zeit. Der Prozess beginnt verspätet, der Platz reicht nicht für alle Interessierten. Der Richter besteht darauf, dass diejenigen, die keinen Sitzplatz haben, den Saal wieder verlassen. Danach beginnt ein ermüdender Weg durch verschiedene Formalien. Schon die Vorzeichen waren wenig ermutigend. Akhanli war im August nach 21 Jahren erstmals wieder von Deutschland aus in die Türkei gereist. Er wollte seinen kranken Vater besuchen. Da er bei zwei Haftprüfungsterminen nicht aus der U-Haft entlassen wurde, war zu befürchten, dass es nun mit Verzögerungen weitergehen würde. Doch das Gericht kam wider Erwarten gleich zur Sache und ließ die Anklage vortragen.

Dabei wird die mangelhafte Beweislage offensichtlich. Dogan Akhanli war in den 70er und 80er Jahren in der linken Bewegung in der Türkei aktiv. Er floh 1991 nach Deutschland und erhielt Asylrecht. Heute lebt er als deutscher Staatsbürger in Köln. Er wird beschuldigt, im Oktober 1989 in Istanbul an einem Raubüberfall auf eine Geldwechselstube beteiligt gewesen zu sein, in dessen Verlauf der Besitzer der Wechselstube erschossen wurde. Doch nicht nur das. Der Staatsanwalt wirft ihm darüber hinaus vor, eine führende Person in einer „terroristischen Vereinigung“ gewesen zu sein, die den Raubüberfall zur Finanzierung eines Staatsumsturzes verübt hat.

Doch beide Zeugen der Anklage haben längst ausgesagt, dass zum einen eine belastende Aussage falsch war und nur unter Folter zustande kam und zweitens eine angebliche Identifizierung Dogan Akhanlis per Foto durch den Sohn des Getöteten ebenfalls falsch war. Der Zeuge betont heute ausdrücklich, dass er Dogan Akhanli niemals erkannt hat.

Dogan Akhanli selbst schweigt im Prozess zu den Vorwürfen. Vor dem Haftrichter hat er ausführlich dargelegt, dass er mit dem Überfall nichts zu tun hat und von der angeblichen Terrororganisation, deren Mitglied er gewesen sein soll, noch nie gehört hat. Gestern überließ er seinen Anwälten das Wort. Die wiesen ausführlich auf die Lücken und Widersprüche in der Anklage hin, was vom Vorsitzenden Richter kommentarlos zu Protokoll gegeben wurde. Für die Anwälte steht fest, dass hier Rache an einem früheren linken Aktivisten genommen werden soll, der nun auch noch im Exil Bücher über den Völkermord an den Armeniern geschrieben hat.

Die Atmosphäre im Gerichtssaal war angespannt, aber sachlich. Zwar lehnte das Gericht gleich zu Beginn ab, dass Akhanli neben seinen Anwälten Platz nahm – er musste, von zwei Gefängniswächtern flankiert, auf der Anklagebank sitzen bleiben –, aber die Verteidigung kam ausführlich zu Wort.

Als sich das Gericht dann nach fünf Stunden Verhandlung zur Beratung zurückzieht, sind die Anwälte vorsichtig optimistisch. Eine halbe Stunde später steht fest, dass sie recht haben: Auch wenn der Prozess noch nicht abgeschlossen ist, Dogan Akhanli kann nach Köln zurückfahren. Sein Vater ist mittlerweile verstorben. JÜRGEN GOTTSCHLICH