Patientenakte im Chipformat

Die ersten Gesundheitskarten in NRW sind nun in Umlauf. Sie sollen in Zukunft alle wichtigen Patientendaten speichern. Kölner Grundrechtekomitee kritisiert Eingriff in Intimsphäre

VON MORITZ SCHRÖDER

Mit Hilfe Nordrhein-Westfalens soll das Gesundheitswesen digitalisiert werden. Am Mittwoch überreichte Landesgesundheitsminister Karl-Josef Laumann (CDU) den ersten drei PatientInnen auf der Gesundheitsmesse Medica in Düsseldorf eine elektronische Gesundheitskarte. Das Gesundheitswesen werde „schneller, transparenter und effizienter“ durch die Karte, sagte Laumann. Das Speichermedium im Bankkartenformat sollen ab kommendem Jahr zunächst 10.000, später 100.000 Menschen in Bochum und Essen testen, einer von acht bundesweiten Testregionen. Mit rund einer Million Kassenversicherten in der Region wird Nordrhein-Westfalen den größten Kartentest in Deutschland organisieren. Das Projekt ist allerdings umstritten und wurde von Ärzteschaft und ApothekerInnen in der Testregion Bremen Anfang November wegen zu hoher Kosten abgeblasen.

Auf dem Chip der Karte sollen alle wichtigen Personendaten der PatientInnen gespeichert werden, wie bisher auf der Versichertenkarte auch. Freiwillig können die NutzerInnen aber zusätzliche Angaben speichern lassen, etwa ob sie Allergien oder eine Infektionskrankheit haben. „Mit solchen Daten kann ein Arzt effizienter arbeiten“, erklärt Sabine Sill, Sprecherin des Projektbüros „E-Gesundheit“ in Bochum, das den Testlauf der Gesundheitskarte betreut. Wenn ein Arzt etwa weiß, dass die behandelte Person medikamentensüchtig ist oder eine Unverträglichkeit gegen Wirkstoffe hat, kann er gezielt alternative Medikamente verschreiben. Außerdem sollen mit der Karte Kosten gesenkt werden, etwa durch die Einsparung von Zeit und Papier für die Rezepte, sagt Matthias Redders, Experte im Landesgesundheitsministerium. Mit einem Pincode sollen Ärzte Rezepte bald digital signieren.

Wer die freiwilligen Angaben einsehen kann, sollen die PatientInnen selbst bestimmen. Nur mit dem Pincode und einer eigenen Karte, dem Heilberufsausweis, kann der Arzt auf den Chip seiner PatientInnen zugreifen. „Diese Daten sind höchst sensibel“, warnt Elke Steven vom Komitee für Grundrechte und Demokratie in Köln. Der Verein hat Ende Oktober eine Unterschriftenkampagne gegen die Gesundheitskarte gestartet. Besonders warnt die Kampagne vor einem Missbrauch der Daten. Die Freiwilligkeit der Abgabe von sensiblen Daten werde schnell kippen, wenn die Karte einmal eingeführt sei. Ein Interesse an den Informationen könnten etwa die Krankenkassen haben, um Behandlungskosten zu sparen. „Auch jeder Betriebsarzt wüsste gerne, ob ein Angestellter eine Krankheit hat, die ihn berufsunfähig machen kann“, sagt Steven.

Nach bisherigen Plänen sollen die Ärzte die Patientendaten auf die Server der Krankenhäuser speisen. Die Kassen sollen die Grunddaten der PatientInnen über einen Datenverbund aktualisieren können. Die Bielefelder Datenschutzinitiative FoeBuD hat bereits 2004 vor Eingriffen in die Intimsphäre der PatientInnen gewarnt. „Krankenkassen wollen ihre Risiken minimieren. Dafür brauchen sie möglichst individuelle Daten ihrer Versicherten“, kritisierte der Verein in einer Rede. Matthias Redders aus dem Gesundheits-Ministerium verspricht aber: „Die Datenschutzbeauftragten sitzen bei allen Entscheidungen dabei.“ Auch die hohen Kosten der Einführung würden sich durch die neue Technik bald wieder ausgleichen.

Die ersten drei KartenbesitzerInnen in NRW müssen sich um Datenschutz und Kosten noch keine Gedanken machen. „Die dürfen erste Trockenübungen mit der Karte machen“, sagt Sill. In einem Testlabor mit „Musterumgebung“ können sie ihre medizinischen Daten nur selbst einsehen. Erst ab kommendem Frühjahr sollen auch die Ärzte in Praxen und Krankenhäusern der NRW-Testregion diese Daten zu Gesicht bekommen.