: Die Rolle seines Lebens
Nach einem effektvollen Auftritt vorm Amtsgericht darf sich der Ex-Chef des Waldau-Theaters über ein mildes Urteil freuen – nicht zuletzt, weil er glaubhaft die Mitverantwortung der Kulturpolitik aufzeigt
von Benno Schirrmeister
Der Schaden: knapp 50.000 Euro. Das Geld ist im Jahr 2003 nicht an die Sozialversicherung abgeführt worden, von Juli bis Dezember. Und das Ausbleiben der Pflicht-Beiträge war nur ein Vorspiel der Zahlungsunfähigkeit der Waldau-Theater GmbH. „Vorenthalten von Arbeitsentgelt“, so lautet der Vorwurf.
In der Rolle des Angeklagten zu erleben war gestern der Ex-Intendant der Waller Komödie. Zweifellos ein Mann mit Sinn für Effekte: Er wird aufgerufen. Nichts. Die Sekunden verstreichen im Saal 451 des Amtsgerichts, leichte Unruhe, gerade soll die Lautsprechertaste erneut betätigt werden, da öffnet sich die Tür. Und, gefolgt von einem jovial wirkenden Verteidigerherein kommt, sich entschuldigend, ein gedrungener Herr herein, weiße Haare, kurzgeschoren. Die Miene: halb reuiger Sünder und halb naiver Schelm.
Leicht umständlich drückt er sich in die Beschuldigten-Bank: In etwas hilflosem Bemühen um die Persönlichkeitsrechte hat ihm die Gerichtspressestelle das Kürzel Michael D. verpasst. Besonders anonym wird D. dadurch aber nicht. Schließlich ist er stadtbekannt. Seit Anfang der 1990er Jahre ist er auf Bremens Bühnen zu Hause, als Schauspieler am Goetheplatz zuerst, seither und noch immer als Regisseur und begnadete Rampensau am Packhaustheater, das seine Ex-Frau leitet.
Seine größten Erfolge aber feierte D. als künstlerischer Leiter der Komödie in Walle. Das belegen die Zahlen: Auf 75 Prozent durchschnittliche Ausnutzung brachte sein Spielplan das 500-Plätze-Haus. Und Michael D.s Gehalt war vom Aufsichtsratsvorsitzenden, dem mittlerweile per Haftbefehl gesuchten Ex-Bürgermeister Ulrich N., von einst 100.000 Mark auf 60.000 Euro jährlich aufgerundet worden.
„Ich habe von Zahlen keine Ahnung“, sagt der Angeklagte. Er hat es schon oft betont. Und bewiesen: Als er 1994 am Waldau anheuerte, durfte sich Michael D. zwar als Retter des Hauses feiern und von Bildlesern zum „Bremer des Jahres“ küren lassen. Ende 1999 aber schrammte die Komödie unter seiner Leitung schon einmal an der Insolvenz vorbei. Daraufhin war D. als Geschäftsführer abberufen und der von städtischen Controllern dringend empfohlene Kaufmann Axel Sch. auf den Posten gehievt worden. Während der lukrative Beraterverträge mit sich selbst aushandelte, sorgte der Aufsichtsrat bald dafür, dass auch D. seinen ursprünglichen Titel zurückbekam. Und dass sein Name wieder im Handelsregister firmierte. Da stand er dann alleine, als Sch. im Frühsommer 2003 geschasst worden war: Externe Wirtschaftsprüfer hatten dessen Machenschaften aufgedeckt. „Für mich fatal“, so D. Stimmt. Denn in der Folge war er verantwortlich für die Finanzen. Also auch fürs Vorenthalten von Arbeitsentgelten. Und dafür, dass auf sein Konto bis zum bitteren Ende pünktlich gezahlt wurde.
Die Schuldigen befinden sich D. zufolge aber andernorts. Auf der Flucht, wie der besagte Aufsichtsrats-Chef, der seit 2001 die Bilanzen nicht prüfte. Irgendwo in der Sonne Spaniens, so, wie die Buchhalterin Petra D., gegen die ein Untreue-Verfahren vergangene Woche erneut platzte. „Mein Mandant aber“, hebt Verteidiger Wolfgang Ohrt hervor, „hat sich gestellt.“ Zorn entwickelt D. vor allem im Hinblick auf Politiker: Die Kulturdeputierte Carmen E. zum Beispiel, die kurz vor Ultimo noch neuerliche Subventionen in Aussicht gestellt habe. Und der damalige Kultursenator Hartmut P.: Der hatte sogar schriftlich für die Überlassung der Immobilie 1,2 Millionen Senats-Euro zugesichert – bloß ohne Rücksprache mit dem Finanzressort. „Es wäre Geld da gewesen“, folgert Michael D., „man wollte es uns nur nicht geben“.
D. hat Privatinsolvenz beantragt, hat monatlich nur noch „250, vielleicht 300 Euro zum Essen“. Mit Engagements sei es schwierig, gerade als Ex-Intendant. D. bezieht Arbeitslosengeld. Der Schuldspruch fällt versöhnlich aus: 180 Tagessätze à 10 Euro auf Bewährung. „Sie sind damit einverstanden?“ Schweigen. Erst, als der Richter seine Frage wiederholt, antwortet D., als sei er von sehr weit weg soeben in den Saal gefallen, ja, dass er akzeptiere, doch, doch. „Ich habe nur“, fügt er noch an, „in mich hineingehorcht.“