Wegsperren statt Betreuen

Die Situation in NRWs Jugendknästen ist katastrophal, sagen Experten: Aus Mangel an Ansprechpartnern und Zukunftsperspektiven herrscht Wut über den tristen Knastalltag

VON MORITZ SCHRÖDER

Würde der Jugendstrafvollzug in Nordrhein-Westfalen so aussehen, wie es im Gesetz steht, wäre der Name Siegburg wohl heute weniger negativ belastet. Denn laut Jugendgerichtsgesetz müsste zum Beispiel jeder jugendliche Knacki eine „sinnvolle Beschäftigung“ haben, der Vollzug solle „erzieherisch gestaltet werden“. Experten kritisieren aber, gut gemeinte Gesetze hätten nichts mit der Realität in den Knästen zu tun: „Vor allem die psychosoziale Betreuung im Haftbereich wurde in den vergangenen Jahren vernachlässigt“, sagt Friedhelm Sanker, stellvertretender Leiter der Jugendvollzugsanstalt Herford. Lukas Pieplow von der Neuen Richtervereinigung rät sogar: „Angesichts der desolaten Situation in den Anstalten, sollten Richter die Haft bei Jugendlichen vermeiden.“

Ein wichtiger Punkt der Kritik ist die Unterbringung: Denn besonders in den älteren der fünf Jugendvollzugsanstalten in NRW werden die Häftlinge noch in veralteten Einzel- oder Gruppenzellen untergebracht. So auch in der JVA Siegburg, die es schon seit 1896 gibt – und wo drei Gefangene ihren Zellenkollegen vorvergangene Woche gequält und ermordet haben (taz berichtete). Fachleute befürworten dagegen eher Gruppenzellen, in denen bis zu zwölf Jugendliche untergebracht werden. Dort soll es ein Gruppenküche und große Aufenthaltsräume geben. Auch Einzelzellen sollen dazu gehören, damit sich die Häftlinge zurückziehen können – jedenfalls in der Theorie. In der Wirklichkeit sind die Zellen jedoch oft überfüllt, die Betreuung schlecht und es gibt kaum Personal. Sanker spricht von landesweit durchschnittlich 20 Prozent Überbelegung in den JVAs. Die Folge: „Am Wochenende werden die Gefangenen teils stundenlang weggesperrt“, so der Kölner Kriminologe Michael Walter.

Das erzeugt nicht nur Aggressionen, sondern wirkt sich auch schlecht auf die Resozialisierung der Jugendstraftäter aus. In größeren Wohngruppen sei hingegen die Motivation größer, etwas Sinnvolles zu tun, so Walter.

Außer mehr Wohngruppen müssten die Häftlinge mit Schulbildung, Arbeits- und Lehrstellen auf das Leben nach dem Knast vorbereitet werden, so Sanker von der JVA Herford. Laut Jugendgerichtsgesetz herrscht für die JVA-Häftlinge Arbeitspflicht. Wird ihnen eine Arbeitsstelle von der Anstalt angeboten, müssen sie die annehmen. Auch Lehrstellen und Schulbildung wird in den Anstalten ermöglicht: „Damit wird der wesentliche Grundstein für die Entwicklung nach der Haftzeit gelegt“, so Sanker. Ergänzt würden die Angebote etwa durch ein Anti-Aggressions-Training.

Um mit dieser Betreuung aber alle Jugendlichen zu erreichen, brauche es mehr Landesgeld und Personal. Daher freut sich Sanker, dass das Jugendstrafgesetz, das bis 2007 beschlossen werden muss, das Land verpflichtet, die Zustände zu verbessern: „Dann muss die Politik handeln.“