piwik no script img

Wo sind all die Kofferkulis?

Willkommen in der EU: Rumänien. Das Mutterland von Not und Elend geht seinen Weg

Die Rumänen sind nicht auf den Kopf gefallen. Deswegen fehlen bei uns die Kofferkulis

Man kennt das: Man steigt aus der Bahn, zwei Koffer, der Kleidersack, die Reisetasche. Dazu der obligatorische Rucksack. Hilfe! Ein Wägelchen muss her, ein Kofferkuli. Gut, die Dinger sind nicht ungefährlich. Falls sie sich überhaupt von der Stelle bewegen, tun sie dies nur unter laut quietschendem Wehklagen, was alle Blicke auf sich zieht. Diese Glücksmomente werden einem allerdings nur gewährt, wenn es einem überhaupt gelingt, eines Exemplares jener seltenen Spezies habhaft zu werden. Tückisch sind sie! Oft quetschen sie einem zur Strafe den Finger. Sie generell vom Fleck zu kriegen, ist eine Kunst. Oft haben sich die Metalldinger hoffnungslos im ewigen Kamasutra ineinander verbrezelt, und will man sie auseinanderbringen, sollte man über die dazu erforderliche Kraft verfügen. Manchmal spielen sie auch Wagenburg, dann ist es völlig aussichtslos.

Ursprünglich bevölkerten sie Bahnhöfe und Flughäfen. Doch lange schon fragen sich die unter schweren Koffern Ächzenden: Wer hat einen Kofferkuli gesehen? Wo sind sie nur? Ausgestorben? Selbst verreist? Im Bermudadreieck verschollen?

Nein. Dort nicht. Sie leben jetzt alle in Rumänien. Die haben ja sonst nichts dort, die Rumänen. Keine Ressourcen, keine Reserven, null Energie. Ohne Saft und Kraft. Der einzige Strom, der regelmäßig fließt, ist der Flüchtlingsstrom. Zwar ist die Donau ein Strom, sie liefert aber kaum welchen, weil das staatseigene Kraftwerk nix aus eigener Kraft schafft. Frisst die Energie, die es produziert, gleich selber auf. Die staatliche Elektrizitätsgesellschaft Romina Power hat Bankrott angemeldet. Da springt kein Funke mehr über. Watt gibt es nur am Schwarzen Meer.

Was sie im Überfluss haben: Mangel. Unterversorgung bei praktisch allem. Viele Menschen werden rumänisch depressiv. Andere tanken Kraft aus Halsschlagadern, ein traditioneller transsylvanischer Brauch, der auf den Grafen Stragula zurückgeht. Viele Vampire stehen allerdings unter Spukarrest, weil das Land eh bald ausgeblutet ist. Anämisch ist es jetzt schon. Die wenigen, die noch Kraft haben, wollen abhauen. Das allerdings ist gar nicht einfach: Fahren ist nämlich nicht.

Früher haben die Rumänen Luxuskarossen aus dem Westen organisiert. Die stehen nur noch herum. Verkehrsminister Constantin Nivea hat angedeutet, sie dem Westen zurückzugeben. Gegen Benzin. Die alten Dacia-Limousinen aber rosten vor sich hin, die Rumänen haben keine Kohle für Sprit. Selbstverständlich auch kein Öl. Salate kommen grundsätzlich unangemacht. Im Restaurant ist jede Mahlzeit ein Candlelight-Dinner. Von wegen Romantik: Not! Sie haben halt nix. Keine Heizung. Kein gar nichts. Darum müssen sie dauernd rumzappeln, Bewegung hält warm. Sind folglich hervorragende Bodenturner. Ion Tiriac will drei Kisten Energydrinks spendieren, immerhin.

Die Rumänen sind indes nicht auf den Kopf gefallen. Deswegen fehlen bei uns nun die Kofferkulis. In Rumänien dienen sie als Fortbewegungs- und Transportmittel. Mit denen die letzten Reserven über die Karpaten gewuchtet werden. Sonst würde gar nichts mehr laufen, meint jedenfalls der Wirtschaftsminister Ili Ekstase.

Was Rumänen auszeichnet: Wagemut und Improvisationsgeist. An der Universitatea Craiova haben sie jetzt ein Aufzuchtprogramm für Kofferkulis gestartet. Rumänien und Deutschland, eine wunderbare Paarung. Sie pflegen unsere Kofferkulis, wir ihre Künstler, die sie im Tausch billig abgeben. Wir Deutsche mögen Rumänen, solange sie Peter Maffay oder Alexandra Maria Lara heißen. Beherzigen Sie also unbedingt folgenden Rat: Bitte lassen Sie Ihr Gepäckwägelchen nie unbeaufsichtigt!

THOMAS C. BREUER

Links lesen, Rechts bekämpfen

Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen