Das Auge der Mode

Sozialgeschichte, erzählt anhand der Entwicklung der Modefotografie von 1840 bis in die Gegenwart: Die Ausstellung „the heartbeat of fashion“ in Hamburg präsentiert noch bis ins neue Jahr 370 Fotos von rund 100 Künstlern aus der Sammlung des Fotografen F. C. Gundlach

Bei der Grenze zwischen Mode- und Sozialfotografie ist oft nicht genau zu entscheiden, wo sie verläuft

VON PETRA SCHELLEN

Man kann es nicht schaffen: Individuell zu sein, sich abzuheben durch Kleidung und Gestus. Ein stetiges Bedürfnis, das genauso stetig zum Scheitern verurteilt ist. Denn kaum ist ein Outfit neu und anders, kopieren es die, von denen man sich unterscheiden wollte. Und eine neue, uniforme Gruppe ist geboren.

Als Dokument der Wandlung vom Individuum zum Kollektiv lässt sich die aktuelle Ausstellung „the heartbeat of fashion“ von F. C. Gundlach in Hamburg verstehen. Der Fotograf und Sammler selbst hegt bezüglich der Einzigartigkeit von Mode keinerlei Illusionen: „Der Mensch changiert immer zwischen diesen beiden Polen“, sagt Gundlach, der seit 30 Jahren Fotos sammelt, die beileibe nicht nur „modisch“ sind. 12.000 Aufnahmen umfasst seine Sammlung, die er im Mai 2005 dem Haus der Photographie als Dauerleihgabe vermachte; dies ist die erste Schau mit Exponaten seiner eigenen Sammlung.

Die indes kann man sehr verschieden lesen: als Geschichte der Fotografie – einerseits. Als Geschichte des Posierens – andererseits. Als soziologische Studie außerdem. Und weil das alles ineinander greift, ist es so ergiebig, sie zu studieren: die Fotos von 1840 zum Beispiel, auf denen gesetzte Herren wie aus niederländischen Porträts des 17. Jahrhunderts herausschauen. Ja, sie wollen solide, tatkräftig oder gebildet erscheinen. Ja, es soll traut wirken, das Biedermeier-Paar von 1840, auf dem der Mann (mit Buch) sitzt und die Frau (mit besorgtem Blick) steht.

Später, in den 1920ern, sollten die Frauen Göttinnen sein, sich als androgyner Vamp vor die Kamera stellen – in Geste und Pose adrett sortiert vom Fotografen. Fern und entrückt wirken sie, makellos, unerreichbar und wenig individuell – mumifizierte Idole.

Ungerecht wäre es, die Ausstellung lediglich als Inszenierung der Frau durch männliche Fotografen zu lesen. Sehr verschieden waren die Ambitionen der Künstler, deren Arbeiten Gundlach zusammengetragen hat: Einige trieb die pure Lust, mit Mustern und Stoffen zu spielen. Karos diktieren etwa bei Gjon Milis Fotos aus den 50ern die Bildkonstruktion: Da wiegt das Muster schwerer als das nur vage erkennbare Modell.

In irritierenden Froschperspektiven und der scharfen Ausleuchtung eigentlich irrelevanter Falten gefällt sich George Hoyningen-Huene, während Kurt Reicherts Nacktmodelle offenbaren, was auch Gundlach immer wieder betont: dass Mode nicht nur Kleidung ist, sondern Gesamthabitus, Pose.

Die in den 30ern entstandenen Bilder ästhetischer Aphroditen und anderer antikisierender Grazien des russisch-amerikanischen Fotografen Hoyningen-Huene kommen Breker- und Riefenstahl-Idolen irritierend nahe. Kult ist das am See sitzende, rücklings abgebildete Paar auf dem Bild „Swimwear by Izad“ (1930) geworden, dessen Blick fast propagandistisch-visionär in die Ferne gerichtet ist. Und die Blonde in Bade- oder Sportanzug könnte ohne weiteres eine Stabhochspringerin der Olympiade von 1936 sein. In Siegerpose steht sie da, die sich anbahnende Nazi-Ästhetik scheinbar perfekt illustrierend. Eine ideologische Nähe des Fotografen zu Nazi-Idealen ist nicht überliefert.

Doch was soll Fotografie, wenn nicht den Zeitgeist abbilden? Vielleicht auch befrieden, optisch vertraut machen mit dem, was die Herrschenden planen: „Deutsche Stoffe! Deutsche Arbeit!“ steht in einem jener Peek & Cloppenburg-Schaufenster, die Albert Zander und Sigmund Labisch 1933 in Berlin abgelichtet haben. Kein Zufall vielleicht auch, dass das Firmenemblem der Nazi-Ästhetik auffallend verwandt ist. Und ist man als Nachgeborener verblendet, oder stecken die Preisschilder auf den Männeranzügen absichtlich genau dort, wo bald darauf Parteiabzeichen prangten – am Oberarm?

Schwer zu entscheiden, was antizipatorisch, was subtil propagandistisch, was opportunistisch war seitens P&C und der Fotografen; im Nachhinein liest sich manches anders. Die angedeutete Uniform eines heroisch ausgeleuchteten Herrn in Elsa Simons Wohnzimmer-Szene von 1935 aber ist nicht wegzudiskutieren.

Ohne Perfektionswahn dokumentieren soll die Schau, das hat Gundlach im Vorfeld gesagt. Und sich klar zu seinen persönlichen Präferenzen bekannt. Auch dazu, dass die Grenze zwischen Mode- und Sozialfotografie fließend ist, und dass oft nicht genau zu entscheiden ist, wo sie verläuft: Den Gestus der Nachkriegsjahre atmen etwa Hubs Flöters Fotos, die Frauen mal als geheimnisvolle Göttinnen in exotischen Kostümen, mal als empfindsam-madonnenhafte Heimatfilm-Frauchen präsentieren.

Doch auch hier bestehen frappierende Unterschiede zwischen jenen, die bloß dokumentieren und denen, die ausbrechen wollen: Eine Dior-Grazie zwischen verschreckt zurückweichenden Elefanten hat Richard Avedon zum Beispiel 1955 ins Bild gebannt. Ein Foto voller Ironie, das sich mit Ralph Gibsons Nacken- und Kinn-Aufnahmen aus den 70ern messen kann. Gegen diese könnte ein Auftraggeber formal wohl nichts einwenden, denn der Zweck ist gewahrt: Das in Rede stehende Kleidungsstück ist abgebildet – nur eben in der dem Künstler konvenierenden Form.

Leon Levinstein hat derweil in New York finstere Gesichter, Hosen, schwielige Hände abgebildet und keinen Zweifel daran gelassen, zu welcher sozialen Schicht sie gehören. Oder vielleicht doch: Ambivalenz ist allgegenwärtig auf diesen Fotos, die Menschen per Kleidung und Pose so klar festzulegen scheinen. Denn auch diese Codes sind bekanntlich umkehrbar.

Manche Insignien allerdings scheinen langlebig und universell. Ohne jeden Kommentar erkennbar ist zum Beispiel, dass das von Levinstein in New York abgelichtete Paar im Park den 1970er Jahren entstammt. Haarwelle, Protestblick und betont lässige Umarmung sind deutliche Zeichen: Hier wird der Individualismus ausprobiert.

Den auch die bundesdeutschen Grünen nicht erfolgreich praktizierten: Wie eineiige Zwillinge sitzen die beiden Grünen, 1983 von Josef Heinrich Darchinger porträtiert, im Bundestag, langhaarig und bärtig beide. Und täuscht man sich, oder schaut der eine irritiert angesichts der Ähnlichkeit? Verwundert ihn gar die Wucht, mit der der Versuch, fehlgeschlagen ist, einzigartig zu sein? Man lächelt milde über dieses wie auch über die von Herlinde Koelbl zehn Jahre lang gefertigten Politiker-Fotos, die Gundlach zeigt. Und an Schröders Zigarillo-Bild freut man sich, das so anders wirkte, als von ihm geplant.

Doch die Ausstellung verharrt nicht in derlei Harmlosigkeiten: Bewusst reflektiert sie auch die Moden, denen ihrerseits die Abbildung von Mode folgt. Das Beispiel, anhand dessen sie das tut, war schon fast vergessen: Die umstrittene Benetton-Werbung der 90er mit Oliviero Toscanis blutdurchtränkten Soldaten-T-Shirts findet sich hier – Belege für einen Versuch, dem Trend zur ausschließlich ästhetischen Abbildung von Mode zu entkommen. Und Werbung gar zum Protest gegen Krieg und Ausgrenzung zu nutzen? Vielleicht. In jedem Fall aber ein ganz und gar legales Unterfangen.

Die Ausstellung ist bis zum 7. 1. 2007 im Internationalen Haus der Photographie, Hamburg, zu sehen.