: Christlicher Politiker in Beirut ermordet
Das Attentat auf Industrieminister Gemayel löst im Libanon die Sorge über eine Verschärfung der Spannungen aus
KAIRO taz ■ Die Meldung verbreitete sich im Libanon wie ein Lauffeuer. Der politische Führer der antisyrischen Mehrheit, Saad Hariri, war gerade inmitten einer in den libanesischen Fernsehstationen live übertragenen Pressekonferenz, als er einen Zettel gereicht bekam, seine Rede abbrach und die Ermordung des Industrieministers und christlich-libanesischen Politiker Pierre Gemayel bekannt gab.
Gemayel war Augenzeugen zufolge mit seinem Auto in der Beiruter Vorstadt Dschdeideh unterwegs. In diesem christlichen Wohngebiet am Nordrand der libanesischen Hauptstadt lag auch der Wahlkreis des Politikers. Sein Auto wurde von einem anderen Fahrzeug gerammt. Der Täter stieg aus und erschoss den Politiker aus kurzer Distanz. Gemayel wurde in ein Krankenhaus gebracht, wo nur noch sein Tod festgestellt werden konnte, wie seine christliche Falange-Partei mitteilte. Der Täter konnte entkommen.
Hariri würdigte den ermordeten Minister als guten Freund und sagte den Tränen nahe, es werde alles getan, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen. Hinter den Morden stecke ein System, erklärte in klarer Anspielung, dass das syrische Regime Baschar Assads hinter dem Anschlag stecke.
Damit wächst 16 Jahre nach dem Ende des Bürgerkriegs die Sorge vor einer Eskalation der politischen Spannungen im Libanon. Gemayel ist der fünfte Politiker oder Intellektuelle aus dem antisyrischen Lager, der in den vergangenen zwei Jahren ermordet wurde. Das US-Außenministerium verurteilte das Attentat als Terroranschlag mit dem Ziel, die Regierungskoalition ins Wanken zu bringen.
Das Attentatsopfer war der Sohn des ehemaligen Präsidenten Amin Gemayel, der von 1982 bis 1988 amtierte. Sein Großvater Pierre Gemayel führte die Falange im Bürgerkrieg von 1975 bis 1990.
Der Anschlag kommt in einer Zeit hoher innenpolitischer Spannungen. Vergangene Woche waren sechs Minister der Hisbollah und ihren Verbündeten zurückgetreten. Sie forderten Neuwahlen oder die Bildung einer Regierung der Nationalen Einheit, in der sie ein größeres Mitspracherecht erhalten.
Seitdem ist die Regierung unter Führung von Fuad Siniora praktisch handlungsunfähig. Erst am Sonntag hatte Hisbollahchef Hassan Nasrallah seine Anhänger aufgerufen, sich für Massenproteste bereitzuhalten, um die Regierung zu stürzen.
Gemayel gehörte dem christlichen Lager an, das in der innenpolitischen Krise gespalten ist. Der Christenführer Michel Aoun hat sich mit seiner Freien Patriotischen Front den Forderungen der Hisbollah angeschlossen, während christliche Politiker wie Samir Gagea oder Gemayel die Regierung unterstützt haben. Der Mord wirft Fragen der Legitimität der Regierung auf, nachdem sieben Minister nicht mehr zur Verfügung stehen.
„War bis heute noch ein politischer Kompromiss zwischen den beiden Lagern möglich, ist es jetzt noch schwieriger geworden, ein Übereinkommen zu finden, mit dem sich die libanesische Krise lösen lässt“, meint der libanesische Journalist Tanios Daebeh. KARIM EL-GAWHARY