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Archiv-Artikel

Die Sofasurfer

KONZERT Zuckrige Texte, ein Sixties-Retro-Sound, ironische Distanz zur eigenen Musik: Best Coast aus Los Angeles spielten am Dienstag im Magnet Club

Kalifornien, kein Zweifel. Das Land mit den Orangen, den gestressten Surfern, das Land, das die Schönwetterdepression erfunden hat. Das Land mit den Hippies im Norden und den hüpfenden Schrottkarren im Süden. Kalifornien, das Land mit den progressiven Ideen, den zu laufenden Bildern gewordenen Träumen, das Land mit der besten Küste aller Zeiten. Das Land, in dem nicht nur das Surfbrett, sondern auch die dazugehörende Musik erfunden wurde.

Aus Kalifornien, genauer aus Los Angeles kommen natürlich auch Best Coast. Aber wer wie ich gedacht hatte, es handelt sich bei Best Coast um junge, plüschige Mädchen in Polka-Dots-Kleidchen und mit pinken, herzförmigen Sonnenbrillen auf der Nase, Mädchen aus der Puppenkiste, der sah sich jäh getäuscht. Obwohl, hätte ja sein können – die Musik, die Best Coast machen, klingt nach frühen Sixties, nach Beach Boys, nach Motown-Girlgroups, vielleicht noch nach den Ramones oder, kalifornisches Träumen, nach bunt bemalter Garage zwischen den Cramps und Weezer. Ziemlich retro also, aber das Beste ist: Die Texte sind so dermaßen zuckrig, dass man eben keinen Abstand vermuten würde.

Die Texte sind reinste pubertäre Romantik. Liebe, Strand, Vermissen, Händchenhalten, Fürimmer, Jedentag, „Ich wollte, sie wäre meine Freundin.“ Teenie-Texte, wie sie die frühen Beatles nicht besser hätten schreiben können. Dahinter konnten also auch nur echte Teenies stecken, dachte man. Teenies, die Gitarre können. Stattdessen aber tauchten am Dienstagabend im Magnet Club an der Oberbaumbrücke drei Endzwanziger auf, die eher nach Sofasurfen, altem Kaugummi und Slackerfilmen aussahen. Mit einer gemütlich-strengen, wuchtigen Ali Koehler (Ex-Vivian Girls) am Schlagzeug, einem gemütlich-freakigen Bobb Bruno an der ersten und natürlich Bethany Cosentino an der zweiten Gitarre, einer Wiedergängerin Joan Jetts, die hinter jedem gesungenen Wort noch einen Ablaut setzen musste, um keinen Zweifel an ihrer Coolheit aufkommen zu lassen. So eine Art weiblicher Mark E. Smith. Eine Dame also, die eher einen Tattooshop führt, als in der Eisdiele beim Himbeershake ihren Teenielover anzuschmachten. Drei sympathische Menschen, die an sich schon in ironischer Distanz zu ihrer Musik standen.

Und das war’s. Keine klassische Bandformation. Kein Bass. Was überhaupt nichts machte – Druck kam auch so auf. Best Coast schlugen sich durch ihr Set, spielten gewissermaßen ihr Gesamtwerk, denn ihr Debüt aus diesem Jahr dauert höchstens eine halbe Stunde, und dazu gibt es noch drei, vier EPs. „The other girl is not like me/ She’s prettier and skinnier/ She has a college degree/ I dropped out when I was seventeen/ If only I could get her out of the picture/ Then he would know how much I want him.“ Tiefsinn bleibt in den Texten weitgehend draußen – Handlung gibt es dennoch reichlich. Und es ist ja nicht so, dass die Verzauberung aus dem Nirgendwo kommt – in Zeiten der omnipräsenten Distanzierung und Reflexion ist die Flucht in die unberührte Romantik immer viel versprechend. Kein Wunder, dass so viele Leute ab dreißig anfangen, fünfzig bis sechzig Jahre alte Musik zu hören.

Es ist tatsächlich die alte Sehnsucht, für immer jung zu sein. Und einen unverfälschten Zugang zu Gefühlen zu haben. Und zu deren Ausdruck. Am besten geht das immer noch, wenn der Beat einfach, aber wuchtig ist und die Gitarren schön laut, krachig und melodiös daherkommen. Und wenn, wie im Fall von Best Coast, die ironische Ebene frei Haus dazu geliefert wird, ist alles perfekt. Und man hat guten, sauberen Spaß. RENÉ HAMANN