: Warum ich Donezk verließ
ENTSCHEIDUNG Die russischsprachige Ukrainerin Olena Povoliaieva zog mit ihrer Familie nach Moskau – aus Angst vor den Separatisten
■ 27, arbeitete in Donezk als Journalistin für den oppositionellen Radiosender Radio Svoboda, der nichts mit der rechten ukrainischen Partei gleichen Namens zu tun hat. Sie war im Mai 2013 Teilnehmerin eines Workshops der taz Panter Stiftung.
AUS MOSKAU OLENA POVOLIAIEVA
Wenn ich morgens aufwache, wundere ich mich immer noch, warum ich aus dem Fenster keine Apfelblüten sehe, sondern 20-stöckige Hochhäuser. In Donezk gibt es solche Häuser nicht – ich bin in Moskau.
Mein Sohn war noch keine zwei Monate alt, als wir unsere Heimat verließen. Viele unserer Freunde hatten damals ihre Familien schon nach Kiew in Sicherheit gebracht. Wir konnten uns einfach nicht vorstellen, dass ukrainische Bürger sich gegenseitig bekämpfen könnten.
Die Situation in Donezk wird angeheizt von 10.000 bis 15.000 bezahlten Separatisten, denen Russland Waffen stellt. Sie entscheiden in der Region Donezk über das Schicksal von Millionen. Die gesamte Region steht unter dem Einfluss ihres Terrors. Sie plündern Autoläden, Wechselstuben, Geldautomaten, Banken und Geschäfte. Sie nehmen Geiseln, foltern und töten Menschen, die proukrainisch eingestellt sind.
Es sind vor allem die Arbeitslosen, die von Russland und den ukrainischen Oligarchen instrumentalisiert werden. Nach der Flucht von Expräsident Wiktor Janukowitsch fürchtete die regionale Elite, dass auch sie ihren Reichtum verlieren könnte, den sie sich mit unehrlicher Arbeit verdient hatte. Sie entschloss sich also, etwas gegen die Kiewer Regierung zu tun. Die Separatisten erhalten ihr Geld aus dem „Familien“-Fonds von Janukowitsch und seiner Verwandtschaft sowie aus den Taschen einflussreicher Vertreter der Partei der Region.
Wir entschieden uns, Donezk zu verlassen, als in unserer Straße die ersten Separatisten auftauchten. Sie fluchten und schrien vor unserem Fenster: „Ruuussland! Russland!“ Zu diesem Zeitpunkt hatte man die ukrainischen Fernsehkanäle bereits abgeschaltet. „Wenn sie auch noch das Internet abschalten, kann ich kein Geld mehr verdienen“, sagte mein Mann, der als Programmierer arbeitet.
Es fällt mir schwer, diese Leute zu verstehen. Ich wuchs in der unabhängigen Ukraine auf und habe dieses Land immer geliebt. Vor meiner Schwangerschaft arbeitete ich im ukrainischen Büro von Radio Free Europe/Radio Liberty und produzierte Reportagen in ukrainischer Sprache. In dieser Zeit bekam ich manchmal Drohungen, sowohl mündliche als auch schriftliche. Trotzdem maß ich dem Ganzen nie eine besondere Bedeutung bei.
Mittlerweile gibt es in der Volksrepublik Donezk zwei neue Minister, die mich für meine proukrainische Einstellung verachten. Wir kennen uns persönlich. Weil ich weiß, was die Separatisten alles mit Journalisten anstellen, möchte ich nicht nach Donezk zurückkehren.
Wir verließen Donezk am 7. Mai. Unsere Nachbarn erzählten später, dass es am 9. Mai, dem Jahrestag des Sieges über Nazi-Deutschland, eine Schießerei in unserer Straße gegeben hat. Einen halben Kilometer von unserem Haus entfernt liegt eine von Terroristen besetzte Militärbasis.
Ohne Visum nach Russland
Natürlich möchte ich zurück. Eltern, Verwandte und Freunde sind dort, unser Haus steht in Donezk. Eine russische Nachrichtenagentur berichtete kürzlich, dass es in Donezk eine Demonstration gegen Faschisten gegeben hätte, bei der die Teilnehmer von Rechtsextremisten angegriffen worden waren. Freunde waren dort. Was in Russland als Demo gegen Faschisten bezeichnet wurde, war in Wirklichkeit ein Protest für eine vereinte Ukraine. Nicht Faschisten, sondern prorussische Separatisten griffen die Demonstranten an.
Ich bin eine russischsprachige Ukrainerin. In Donezk wurde ich deswegen nie bedroht. Es sind stattdessen die ukrainischsprachigen Menschen, die hier immer misstrauisch begutachtet wurden. Trotzdem gab es in den letzten Jahren zwischen Russen und Ukrainern keine ernsthaften Konflikte.
Warum haben mein Mann und ich uns trotzdem entschieden, nach Russland zu gehen? Wir können ohne Visum nach Russland einreisen und problemlos 90 Tage am Stück hier bleiben. Wenn es für Europa die gleichen Visa-Bestimmungen geben würde, dann wären wir jetzt in Paris oder Berlin. Der zweite Punkt ist, dass mein Mann Informatiker ist und ein Großteil seiner Kunden in Moskau sitzt. Jetzt warten wir ab, was nach den Wahlen am 25. Mai geschehen wird. An diesem Tag soll es gefährlich werden in Donezk.
Man hätte alles im Keim ersticken müssen. Man hätte die Armee einmarschieren lassen und keine Angst vor Putin zeigen sollen. Eine Atombombe hätte er auf seine Nachbarn sicherlich nicht abgeworfen. Für alles andere hätte er Zeit benötigt. Wertvolle Zeit, die die Ukrainer hätten nutzen können, das Land von Separatisten und ausländischen Agenten zu säubern. Ich möchte zurück nach Donezk – aber ein komisches Gefühl sagt mir, das wird nicht mehr möglich sein.