: Völkerrechtler ohne Visum
AUSLÄNDERRECHT Die Bucerius Law School hat den renommierten äthiopischen Juristen Takele Bulto eingeladen und ihm Stipendium und Unterkunft organisiert. Doch das reicht den Behörden nicht: Er darf nicht einreisen
VON RONEN STEINKE
Es sind große Fragen, die Takele Bulto noch nachts an den Laptop treiben. Das Menschenrecht auf Wasser zum Beispiel, ein derzeit heiß diskutiertes Thema unter Völkerrechtlern. Die Thesen des Äthiopiers sind weltweit gefragt, zur Zeit arbeitet er in Australien. Auch die von der Zeit-Stiftung getragene Bucerius Law School aus Hamburg möchte ihn als Gastwissenschaftler gewinnen. Doch das Vorhaben wird wohl scheitern: Deutschland gewährt dem äthiopischen Nachwuchs-Wissenschaftler kein Visum.
Takele Bulto war Richter in seiner Heimat Äthiopien, hat über die Verteilungskämpfe um Wasser ein Buch geschrieben und Plädoyers gehalten vor dem internationalen Gerichtshof der Afrikanischen Union. Aktuell hat die renommierte Melbourne Law School den 35-Jährigen als Dozenten engagiert.
So sind es nun Detailfragen der deutschen Visa-Bestimmungen, die der Völkerrechtler nachts am Laptop zu verstehen versucht. In seiner Wohnung in Melbourne hat Bulto sich auf dem Sofa ausgebreitet, er blinzelt aus kleinen Augen in die Webcam vor ihm. Die letzten Tage waren lang, er hat einen Intensivkurs an der Uni gegeben, erst spät abends kam er dazu, sich noch in die Einreiseregeln zu vertiefen. Auf dem Tisch vor ihm liegt ein Schreiben vom deutschen Konsulat.
Die deutschen Visa-Bestimmungen, so resümiert das Konsulat darin, teilen außereuropäische Wissenschaftler in zwei Gruppen ein – mit beachtlichen Konsequenzen. Käme Bulto aus der ersten Gruppe, also aus Australien, Kanada, Israel, Japan, Neuseeland, Südkorea oder den USA, dann hätte er es vergleichsweise leicht, dem Ruf nach Hamburg zu folgen. Gastwissenschaftler aus diesen Staaten dürfen sofort nach Deutschland einreisen und sich um die nötigen Formulare auch noch nach ihrer Ankunft kümmern.
Da Bulto allerdings nicht zu dieser kleinen Gruppe gehört, muss er den deutschen Behörden zuallererst beweisen, dass er nach seinem Forschungsaufenthalt in Hamburg schnell wieder aus Deutschland verschwinden wird. Konkret heißt das: Das deutsche Konsulat in Melbourne verlangt von dem Juristen einen Nachweis dafür, dass er im übernächsten Semester wieder an der Universität in Melbourne eingeschrieben sein werde. Doch ob er das wirklich vorhat, ist noch gar nicht klar. Wissenschaftliche Engagements entstehen meist eher kurzfristig.
„Eine absurde Situation“, sagt Bulto: „Das würde mich allein 10.000 bis 12.000 Australische Dollar an Studiengebühren kosten. Und wozu?“ Sein guter Ruf in der Rechtswissenschaft spricht dafür, dass der Äthiopier nach Lehraufträgen in Australien und Hamburg rasch mit einer weiteren Hochschule einig wird.
In Südafrika, wo Bulto auch studierte, verlieh ihm die Uni eine Auszeichnung, in den USA gaben sie ihm ein Stipendium, in Australien hat er seit kurzem einen unbegrenzten Aufenthaltstitel. Kopfschüttelnd erzählt Bulto deshalb: Er habe in keinem der Länder, in denen er gelebt habe, jemals Visa-Bestimmungen verletzt, sagt er. Deshalb fragt er: „Warum dieses Misstrauen?“
Der Geschäftsführer der Hamburger Bucerius Law School, Hariolf Wenzler, findet für sein Befremden noch schärfere Worte: „Exzellente Forscher werden hier allein wegen ihrer Staatsangehörigkeit eher wie Flüchtlinge behandelt, anstatt in ihnen eine Bereicherung der Wissensgesellschaft zu sehen“, beklagt er. Wenzler hatte bereits ein Apartment für Bulto im Gästehaus der Hochschule reserviert. Er trieb ein Sonder-Stipendium für ihn auf – Bulto wäre also versorgt.
Deutschland gilt unter ForscherInnen ohnehin nicht eben als Traumziel – anders als die angloamerikanischen Universitäten. Daher nennt Wenzler es „besonders bedauerlich“, wenn der internationale Wissenschaftler-Austausch auch noch durch Visa-Bestimmungen zusätzlich erschwert werde.
Die deutschen Beamten, die dem Völkerrechtler in Melbourne das Visum versagten, sehen sich indessen an das Gesetz gebunden, sagten sie Bulto. Es wisse eben niemand, was nach Ablauf des Bucerius-Stipendiums in Hamburg wirklich passieren werde. Beim Auswärtigen Amt, der obersten Visa-Behörde in Deutschland, sagt ein Sprecher: „Wir machen die Gesetze nicht.“ Fachverantwortlich für das Ausländerrecht ist das Innenministerium. Das will aber erst die Ergebnisse einer CDU-Arbeitsgruppe zur Zuwanderung abwarten, bevor es im kommenden Frühjahr Stellung zum Ausländerrecht bezieht.
„Vielleicht klappt es ja irgendwann in Zukunft“, seufzt Takele Bulto und lehnt sich auf seinem Sofa in Melbourne zurück. „Ich wäre gern nach Deutschland gekommen.“ Auf dem Tisch vor ihm liegt, neben dem Schreiben vom deutschen Konsulat, noch ein zweiter Brief, ganz frisch eingetroffen. Die Universität Cambridge interessiert sich für ihn.