Die Lücke im Programm

WRITERS’ ROOM Deutsche Serien, die so erfolgreich sind wie „Breaking Bad“ oder „Borgen“? Ein neuer Studiengang der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin nimmt sich jetzt die Arbeitsweise aus den USA und Skandinavien zum Vorbild

„Ein paar Folgen reichen nicht, um das wirkliche Potenzial einer Serie zu ermessen“

Matthias Schmidt, Student

VON JENS MAYER

Vor einigen Wochen machte im Netz das Pamphlet eines gewissen DJ Frederiksson die Runde, das Regisseur Dietrich Brüggemann („Kreuzweg“) in seinem Blog zum Download bereitgestellt hatte. Überschrieben mit dem Titel „Die ausbleibende Revolution“, führt es auf 32 Seiten aus, „was die Qualität der neuen US-Serien eigentlich ausmacht und warum genau diese Qualität im deutschen Fernsehen auf unbestimmte Zeit nicht zu sehen sein wird.“

Was diese Analyse von den oft polemisierenden Fragen nach dem Verbleib der deutschen Serien abhebt, ist nicht nur die detaillierte Aufschlüsselung der bestimmenden Faktoren, sondern auch die intime Kenntnis des deutschen TV-Systems, die auf einen Brancheninsider schließen lässt. Brüggemann verweist darauf, selbst nicht Autor des Papiers zu sein, bestätigt in seinem begleitenden Blogeintrag aber, dass der Verfasser „sein Geld als Drehbuchautor“ verdiene und es deswegen vorziehe, „anonym zu bleiben“, weil er fürchte, „dass niemals mehr ein deutscher Fernsehredakteur ihm einen Job geben wird, wenn dieser Text mit seinem Namen zirkuliert“.

Geht es nach Frederiksson, gibt es also wenig Grund zur Hoffnung, dass in absehbarer Zeit auch hierzulande eigenproduzierte und intelligente fiktionale Serien, wie sie schon längst nicht mehr ausschließlich in den USA entstehen, zu einem regelmäßigen Bestandteil der Senderprofile werden könnten.

Seine düstere Prognose ist ein weiteres Symptom der zunehmenden Verdrossenheit und Frustration hiesiger Drehbuchautoren, die aufgrund der globalen Entwicklungen eigentlich zu den Gewinnern gehören müssten. Nicht umsonst gelten Serien wie „Mad Men“, „Breaking Bad“, „True Detective“ oder „House Of Cards“ als „Autorenserien“. Ihren Schöpfern wird die uneingeschränkte Hoheit über ihren Erzählstoff zugestanden, sie werden gefeiert wie früher nur Hollywoodregisseure oder angesehene Literaten.

„Je größer eine Institution, desto schwerfälliger verändert sie sich“, kommentiert Prof. Jan Schütte die Kritik an den deutschen Sendern. Der Direktor der Deutschen Film- und Fernsehakademie Berlin (DFFB) hat mit dem im September 2013 gestarteten Studiengang „Serial Eyes“ eine konkrete Maßnahme eingeleitet, um der Misere abzuhelfen. In einem europaweit einmaligen Intensivstudiengang bietet die Akademie einem Dutzend Teilnehmern neun Monate lang die Möglichkeit, so zu arbeiten wie die Vorbilder in den USA oder Skandinavien – im sogenannten Writers’ Room, in dem die Autoren die Folgen und Staffeln einer Serie kollektiv entwickeln. Erst diese gemeinsame professionelle Arbeit ermöglicht dem System die qualitative und vor allem quantitative Bewältigung des Erzählstoffs von Serien mit 12 bis 24 Folgen im Jahr.

In Europa ist das Prinzip des Einzelautors immer noch vorherrschend, lediglich hier und da wurde es durch internationale Koproduktionen wie die Historienserie „Borgia“ oder die Actionkrimiserie „Crossing Lines“ aufgebrochen, und genau dort setzt auch „Serial Eyes“ an. Die zwölf Absolventen des gerade erstmals abgeschlossenen Studiengangs kommen aus sieben europäischen Ländern; kommuniziert wird ausschließlich auf Englisch. Betreut wurde ihre Arbeit von „Akte X“-Autor Frank Spotnitz, der sich mittlerweile in London auf die Entwicklung von „transatlantischen Dramaserien“ spezialisiert hat.

„Ich konnte viele hochkarätige Profis überzeugen, sich bei uns einzubringen“, erklärt Lorraine Sullivan, die Leiterin des Programms, nicht ohne Stolz. Die Französin arbeitete bereits für den Fernsehsender Canal Plus, knüpfte in Los Angeles Kontakte zu Film- und Fernsehschaffenden und organisierte zuletzt in London das TV-Serien-Festival „Totally Serialized“. Ihr Netzwerk ermöglichte ihren Studenten ausgiebige Sitzungen mit Autoren und Produzenten wie Jeffrey Bell („Agents of S.H.I.E.L.D.“), Julian Fellowes („Downton Abbey“) oder Sven Claussen, dem Mann, der das dänische Fernsehen revolutionierte und mit Serien wie „The Killing“ oder „Borgen“ weltweite Erfolge feiert. Dazu nahm sie ihre Schützlinge mit nach Cannes zur MIPTV, einem der wichtigsten Märkte für Fernsehformate, damit sie „einen Eindruck von dem Businessaspekt bekommen“, so Sullivan.

Alexandre Manneville und Matthias Schmidt gehören zu den „Serial-Eyes“-Debütanten. Keine Neulinge, beide sind über dreißig und haben vorher schon fürs Fernsehen gearbeitet. Manneville entwarf animierte Serien in Frankreich, Schmidt konnte mit seinem Regieabschlussprojekt „Alle Jahre wieder“ an der Filmakademie Baden-Württemberg bereits im Weihnachtsprogramm des NDR landen. Doch beide waren so vom Angebot und der Qualität der Dozenten überzeugt, dass sie nach ihrer erfolgreichen Bewerbung gern die Gebühr von 4.500 Euro aufbrachten, um sich ein Dreivierteljahr ausschließlich ihrer Weiterbildung widmen zu können. Zum Abschluss stellten sie ihre ausgearbeiteten Serienideen in einer international besetzten Session vor, bei der sie sich Produzenten, TV-Verantwortliche und andere Brancheninsider präsentieren konnten.

Ob und wie weit sich auch konkret etwas aus diesen Kontakten ergibt, wird die Zukunft zeigen. Aber haben sie überhaupt Erfolgsaussichten auf dem deutschen TV-Markt? Das Scheitern der bislang wenigen Versuche, zeitgemäße Serienmodelle auch hier zu etablieren, etwa von Dominki Grafs „Im Angesicht des Verbrechens“ oder der Orkun-Ertener-Serie „KDD“, wird von Verantwortlichen schließlich gern als Beweis dafür angeführt, dass die Zuschauer eben keine komplexen fiktionalen Stoffe sehen wollten. „Man kann an erfolgreichen Vorbildern wie ‚Breaking Bad‘ nachvollziehen, dass sich Serien erst in der zweiten oder dritten Staffel richtig entfalten“, sagt Schmidt. „Ein paar Folgen reichen einfach nicht aus, um zu ermessen, was das wirkliche Potenzial einer Serie sein könnte.“ Manneville ergänzt: „Natürlich besteht die Möglichkeit des Scheiterns, weil die Macher hierzulande vielleicht weniger Erfahrung haben. Aber dann müssen sie es noch einmal probieren und noch ein drittes Mal. Wenn sie nach jedem Scheitern wieder auf alte Rezepte zurückgreifen, die früher einmal funktioniert haben, wird sich nie etwas entwickeln können.“

Um die Jobperspektiven seiner Absolventen macht sich Direktor Schütte jedenfalls keine Sorgen, schließlich sei die Etablierung des Studiengangs überhaupt erst auf einen direkten Anstoß der französischen Produktionsfirma Atlantique zurückzuführen, „weil man nicht ewig Leute aus Amerika einfliegen lassen kann“. In Deutschland sieht er allerdings noch Entwicklungsbedarf: „Wir haben gute Partner, aber auf deutscher Seite eine große Lücke. Ich denke, ein nationaler Sender wie das ZDF müsste so ein Programm auch unterstützen. Das haben wir aber bislang noch nicht hinbekommen.“

Sollte DJ Frederiksson am Ende also recht behalten? Dabei ist es längst überfällig, eine neue Platte aufzulegen. Die alte hängt schon viel zu lange.