WARUM DAUERT ES EIGENTLICH SO LANGE, BIS ALLE EU-CHEFSESSEL BESETZT SIND?
: Jetzt geht es um die Wurst

europa@taz.de

BONSE FRAGEN

Europa hat gewählt, nun heißt es warten. Fast ein halbes Jahr dürfte es dauern, bis alle EU-Chefsessel in Brüssel besetzt sind – und damit rund doppelt so lang wie bei Bildung der Großen Koalition in Berlin. Doch warum dauert es eigentlich so lange?

Um es brutal zu sagen: Weil die EU keine echte Demokratie ist. Wäre sie es, so wüssten wir heute schon, wer der nächste EU-Kommissionspräsident wird. Doch selbst wenn es einen klaren Wahlsieger geben sollte – Martin Schulz oder Jean-Claude Juncker –, sind die Würfel längst nicht gefallen. Das Votum muss noch gewogen und gefiltert werden.

Dabei geht es nicht nur um die in Demokratien selbstverständliche Frage, ob der Sieger über eine Mehrheit im neuen Europaparlament verfügt. Parteien- und Geschlechterproporz spielen eine Rolle. Auch die Machtbalance zwischen Nord und Süd, West und Ost ist wichtig. Und natürlich die Kaiserin von Europa.

Schon heute trifft Angela Merkel die Parteivorsitzenden von SPD und CSU, um die Marschroute für die nächsten Wochen festzulegen. Bisher hat sich die Groko noch nicht darauf verständigt, wer der nächste deutsche EU-Kommissar wird. Am Dienstag fliegt Merkel nach Brüssel, um mit den 27 anderen Staats- und Regierungschefs weiterzukungeln.

Beim Abendessen hinter verschlossenen Türen dürfte es hoch hergehen. Der britische Premier David Cameron lehnt sowohl Schulz als auch Juncker ab. Auch der niederländische Premier Mark Rutte hat klargemacht, dass es keinen „Automatismus“ zwischen dem Ergebnis der Europawahl und der Wahl des Kommissionschefs gibt.

Schulz oder Juncker können es nur werden, wenn die EU-Chefs sie mit qualifizierter Mehrheit vorschlagen. Das werden sie nur dann tun, wenn sie sich auch auf andere Chefposten verständigt haben. Vor allem die Stellen des EU-Ratspräsidenten- und der Außenbeauftragten werden für Streit sorgen.

Am Ende, vermutlich im Herbst, dürfen die EU-Staaten ihre Vertreter für die Kommission nominieren. Und ganz zum Schluss stimmt das Europaparlament über die neue Brüsseler Behörde ab. Ob sich dann noch jemand für das Ergebnis der Europawahl interessiert? ERIC BONSE