Große Kunst

Verdis selten gespielte Oper „Simon Boccanegra“ an der Deutschen Oper: Die Tragödie der Macht wird reine Musik

Nach endlosen Pannen und Peinlichkeiten der Befreiungsschlag an der Deutschen Oper, die eigentlich schon zur Abwicklung freigegeben ist: „Simon Boccanegra“, die wenig gespielte, als schwierig verschriene Oper von Giuseppe Verdi ist unter der Leitung des jungen Dirigenten Yves Abel eine Demonstration all dessen, was große Oper sein kann.

Die Oper ist das elementare, durch kein Spektakel ersetzbare Drama der menschlichen Stimme. Ein Quartett von drei Männern und einer Frau reicht Verdi aus, ein Universum der Leidenschaften zu entfalten, das fernab jeder Sentimentalität bewegt. Der Stoff ist ein Politthriller, der im Genua des 14. Jahrhunderts spielt. Intrigen und gekaufte Stimmen spülen einen Mann aus dem Volk auf den Dogenthron, er will Frieden stiften, doch seine eigene, lange verschollene Tochter steht im Zentrum der Gier seiner Feinde ebenso wie seiner Freunde. Vergiftet stirbt er am Ende und sehnt sich nach einem Grab im Meer. Der Bariton Roberto Frontali dringt mit seiner schönen, immer beherrschten Stimme scheinbar mühelos ein in diesen unglücklichen Menschen, aufmerksam für jede Facette seiner Verzweiflung, seiner Wut, Trauer und Resignation.

Bewegender als es Text und Dramenhandlung je könnten, nimmt die Tragödie eines gutwilligen Reformers Gestalt an. Sie ist in Verdis Händen zu reiner Musik geworden, das Schema der großen Arie ist überwunden. Lakonisch knapp, aber reich an thematischen Einfällen und Färbungen das Klanges, hält sie die Fäden zusammen und gibt den Stimmen ihren eigenen Raum in der musikalischen Logik.

Die georgische Sopranistin Tamara Iveri in der Rolle der Tochter Maria, der Tenor Franco Farina als ihr Liebhaber, und der Bass Roberto Scandiuzzi als Patrizierfürst lassen sich mit hineinreißen in das Verhängnis der Macht, geführt von einem Orchester, das eine wunderbar ausbalancierte, kammermusikalischer Verdichtung vollbringt.

Die Kunst dieses Formats also steht auf dem Spiel, wenn die Deutsche Oper dem Kommerz einer bloßen Abspielstätte geopfert wird. Die Bühnenbildnerin Cordelia Mathes hat den Schauplatz mit Bahnhofshalle, Riesendampflock und dem Innern von Salonwagen in die Entstehungszeit der Komposition verlegt (gespielt wird die Fassung von 1881). Sie verkünden schlüssig industrielle Moderne, Fernsehbilder von Demonstrationen zum G-8-Gipfel von Genua erinnern an die jüngste Gegenwart, in der diese von jedem Zeitklischee freie Musik Verdis ohnehin angesiedelt ist. Der Regisseur Lorenzo Fioroni hingegen hat kaum in Verdis Figurenzeichnung eingegriffen. Das schadet nichts, weil Gesang und Orchester diesmal alles sagen, was nötig ist.

NIKLAUS HABLÜTZEL

Nächste Aufführungen: 29. 11., 2., 8., 14. 12., Deutsche Oper, Bismarckstr. 35