Briten stellen mit der Protestwahl ihre EU-Mitgliedschaft infrage

GROSSBRITANNIEN Der Wahlsieg der antieuropäischen Rechtspopulisten der Ukip-Partei versetzt das britische Establishment in völlig berechtigte Aufregung

Bisher haben sich die Briten bei nationalen Wahlen stets wieder besonnen und Ukip leer ausgehen lassen

AUS DUBLIN RALF SOTSCHECK

Ein positiver Aspekt des Ukip-Erfolgs ist die Tatsache, dass die rechtsextreme British National Party (BNP) ihre beiden Sitze eingebüßt hat. Parteichef Nick Griffin, der bisher im Europaparlament saß, antwortete auf die Frage, ob die Wähler die rassistische und faschistische Politik seiner Partei abgelehnt haben: „Sie haben stattdessen für die rassistische Politik von Ukip gestimmt.“

Die europafeindliche United Kingdom Independence Party konnte ihren Stimmanteil im Vergleich zu den Wahlen 2009 fast verdoppeln und erhielt 28 Prozent. Ukip-Chef Nigel Farage sagte: „Das Vereinigte Königreich hat ein Erdbeben erlebt, denn nie zuvor in der britischen Geschichte hat sich eine rebellische Partei bei einer landesweiten Wahl an die Spitze gesetzt.“ Er sprach vom „außergewöhnlichsten Ergebnis in der britischen Politik seit 100 Jahren“.

Zum ersten Mal gewann Ukip in Schottland einen Sitz, insgesamt kommt die Partei auf 24 Mandate. Die Labour Party lag bei 25 Prozent und 20 Sitzen, sie verwies die regierenden Konservativen mit 24 Prozent und 19 Sitzen auf den dritten Platz. Die Grünen wurden mit 8 Prozent Vierter und schicken drei Abgeordnete ins Europaparlament. Die in Schottland regierende Scottish National Party verteidigte ihre beiden Sitze, in Wales gewann die separatistische Plaid Cymru ein Mandat. Die Wahlbeteiligung lag bei 36 Prozent.

Das Wahlergebnis setzt Premierminister David Cameron noch weiter unter Druck. Der einflussreiche Europa-Abgeordnete der Tories, Daniel Hannan, verlangte, vor den Unterhauswahlen einen Pakt mit Ukip zu schließen. Viele Hinterbänkler wollen das für 2017 von Cameron versprochene Referendum über Austritt aus oder Verbleib in der EU um ein Jahr vorziehen. Manche verlangen gar, es am Tag der Unterhauswahlen im kommenden Mai abzuhalten. Bisher hat Cameron es umgangen, weitere Zugeständnisse an seine europafeindlichen Hinterbänkler zu machen, damit ihm die Hände bei Verhandlungen auf EU-Ebene nicht noch mehr gebunden sind. Vorerst hat er am Sonntag eine Verschärfung der Sozialgesetze angekündigt, die dafür sorgen soll, dass Immigranten, die Sozialhilfe beziehen, nicht mehr erst nach sechs, sondern schon nach drei Monaten ausgewiesen werden können. Auch die Labour Party tönte, dass die Einwanderung gestoppt werden müsse, ohne aber konkrete Maßnahmen vorzuschlagen.

Für Labour ist das Ergebnis der Europawahl ebenfalls höchst unbefriedigend. Die Hoffnung, das Ukip lediglich den Tories Stimmen wegnehmen würde, hat sich nicht bewahrheitet. Zwar konnte Labour in einigen Tory-Hochburgen zulegen und sieben Sitze im Vergleich zu 2009 hinzugewinnen, insgesamt schnitt die Partei jedoch schlechter ab als erwartet. Ein Tory-Sprecher sagte hämisch, es sei das erste Mal in 30 Jahren, dass die Oppositionspartei nicht die Europawahlen gewonnen habe. Auch die mitregierenden Liberalen Demokraten haben eine verheerende Abfuhr erhalten. Von ihren bisher elf Abgeordneten konnten sie nur einen einzigen durchbringen.

Farage kündigte an, dass er bei den Parlamentswahlen in einem Jahr Kandidaten in 20 Wahlkreisen aufstellen werde. Das erscheint wenig ambitioniert, wenn man bedenkt, dass dann 650 Unterhaussitze zu vergeben sind. Doch Farage weiß, dass man die Erfolge bei Kommunal- und Europawahlen nicht auf Unterhauswahlen übertragen kann. Bisher sind die Briten bei solchen Wahlen stets zur Besinnung gekommen und haben Ukip leer ausgehen lassen. Farage sagte in der Nacht zum Montag aber optimistisch, dass Ukip nach den Unterhauswahlen das Zünglein an der Waage sein könnte.