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Archiv-Artikel

Im Bestand bedroht

Der Lüssumer Turnverein steht vor der Insolvenz, gegen seinen Ex-Geschäftsführer ermittelt die Staatsanwaltschaft. Gefährdet sind damit auch die Resozialisierungs-Projekte für Jugendliche

von Benno Schirrmeister

Alwin Sch. ist gerade nicht zu erreichen. Zu Hause nicht und beim Lüssumer Turnverein 1898 schon mal erst recht nicht. Dort löst der Name Sch. nämlich starke Gefühle aus. Lange Jahre war er Vorsitzender und Geschäftsführer des Vereins. Der ist jetzt ruiniert. Und gegen Sch. ermittelt die Staatsanwaltschaft. Der Verdacht: Untreue. Nach aktuellem Stand geht es in der LTV-Geschichte um eine Summe von „round about 18.000 Euro“, so der Sprecher der Anklagebehörde. Aber es gibt auch noch zwei andere Anzeigen gegen Sch., der sich auch in Sachen Skaterbahn im Bremen-Nord engagiert hat und den Vorsitz im Blumenthaler Freibadverein kürzlich niedergelegt hat.

Beim LTV ist Sch. Ende Oktober zurückgetreten, wenig später auch der verbleibende Rumpfvorstand, und ob der gerichtlich bestellte Notvorstand die Insolvenz abwenden kann, ist völlig offen: „Es hängt davon ab“, so Klaus Peter, im wahren Leben Geschäftsführer des Landessportbundes, „ob es uns gelingt, Gelder aufzutreiben.“

Andernfalls wäre die Geschichte des LTV nach 108 Jahren wohl zu Ende.

Das hätte Folgen auch fürs restliche Bremen. Für den Sport-Etat etwa: In der Zeit von 1983 bis 2004 nämlich hat die Stadt allein dem LTV zehn Kredite durch öffentliche Bürgschaften abgesichert. Die Restschuld beläuft sich auf gut 680.000 Euro. Die würden die Banken bei Zahlungsunfähigkeit des Vereins einfordern. „Im Laufe der kommenden Woche“, so Peter, „wird es wohl eine Entscheidung geben.“ Ob die Sportdeputation noch einmal Geld zuschießt? Dem Vernehmen nach eher nicht. „Das wäre auch falsch“, so Matthias Güldner, der für die Grünen in dem Gremium mitwirkt. Dadurch würde zwar die Insolvenz vermieden. Aber damit blieben auch „die alten Strukturen erhalten“. Und offene Rechnungen in Höhe von rund 60.000 Euro ebenso.

Gravierender als der finanzielle Schaden ist aber der soziale. Einerseits ist Lüssum ohnehin kein begünstigtes Viertel: „Stadtteile wie Tenever“, bilanzierte Bausenator Rondald-Mike Neumeyer nach seinem Antrittsbesuch in Lüssum, „sind da schon weiter.“ Das Sicherheitsgefühl ist laut einer Erhebung des Innensenators nirgendwo in Bremen geringer als in Blumenthal-Lüssum. Ein funktionierender Turnverein mit 14 Abteilungen ist da kaum zu ersetzen.

Andererseits ist der LTV eine von vier Institutionen in Bremen, die Resozialisierungs-Maßnahmen für straffällig gewordene Jugendliche anbieten – auf einem professionellen Niveau mit 20 Mitarbeitern. „Die Arbeit ist davon nicht beeinträchtigt“, so der pädagogische Leiter.

Besonders bitter: Die Integrations-Abteilung hat sich schon im Juni als eigener Verein aus dem LTV ausgegründet: Auslöser war, dass Sch. schon im Jahr 2004 angekündigt hatte, ab Mai 2007 aus Altersgründen seine Ämter und Aufgaben abzugeben. Man habe daraufhin auf eine geordnete Übergabe gedrängt – es habe sich jedoch nichts in dieser Richtung getan, so der Vorsitzende des Integrationsvereins, Jugendrichter Christian Zorn. Hinzu sei die Weigerung gekommen, die finanziellen Strukturen offenzulegen: Mehrfach habe man das angemahnt. Heute bezeichnet Zorn die als „Element der Misswirtschaft“.

Anfang Juni habe man dann, um den Bestand der Integrations-Arbeit nicht zu gefährden, den Verein gegründet. Einen Monat früher und man wäre vielleicht aus dem Schneider: Noch aber lässt die amtliche Anerkennung als Träger sozialer Maßnahmen auf sich warten. Und so lange die nicht erfolgt ist, ist auch die Integrations-Abteilung noch mit dem LTV verbunden. Auf Gedeih und Verderb.