: „... die modernste Grundrechte-Charta“
Karin Jöns, SPD-Abgeordnete aus Bremen im Europäischen Parlament, kritisiert vor allem die mangelnde Informationspolitik in den Mitgliedsstaaten der EU. Beispiele für die positive Rolle der EU gäbe es genug
taz: Die Menschen scheinen europamüde zu sein. Woran liegt das, was kann man tun?
Karin Jöns, MdEP: Es wird viel zu wenig – auch seitens der Bundesregierung und der Landesregierungen – auf die europäische Politik aufmerksam gemacht. 70 Prozent der Gesetzgebung in Deutschland gehen auf europäische Rechtssetzung zurück. In der politischen Diskussion wird aber nur auf Brüssel verwiesen, wenn man einen schwarzen Peter braucht.
Henning Scherf hat gern auf die Bürokraten geschimpft ...
... oh ja, mit Vorliebe. Das trifft aber nicht den Kern. Im Moment ringen wir zum Beispiel um die so genannte Portabilitätsrichtlinie. Es geht darum: Ab wann kann ich einen Anspruch auf eine Betriebsrente erwerben und mitnehmen? Man muss in Deutschland mindestens 30 Jahre alt sein und fünf Jahre im Betrieb gearbeitet haben, diese Regelung ist sehr schlecht im europäischen Vergleich. Wir wollen das Alter auf 21 Jahre festsetzen und die Betriebszugehörigkeit auf zwei Jahre. Am Ende der Verhandlungen kommt dann vielleicht 25 Jahre heraus, aber immerhin. Derzeit blockiert die deutsche Seite, in fünf Jahren, wenn sie das neue europäische Recht umsetzen muss, wird sie sich damit schmücken – egal wer regiert.
In Frankreich und den Niederlanden sind die Verfassungs-Referenden gescheitert, weil sich viele Menschen sozialpolitisch nicht genügend geschützt fühlen von der EU.
Da sind wir bei dem Thema Vermittlung. Wir haben von europäischer Seite Vieles getan, zum Beispiel zur Kontrolle auf Baustellen gegen Lohndumping. Das wird zu Hause nicht vermittelt. Im Januar läuft ein großes beschäftigungspolitisches Programm an, das ist durchgesetzt worden gegen die Minister. Da sagt niemand laut in Deutschland: Das war die EU. In der EU-Verfassung steht der Begriff der Sozialen Marktwirtschaft, in keiner europäischen Verfassung gab es das bisher. Die EU-Grundrechte-Charta ist die modernste der Welt. Wer weiß das schon?.
Ihr Schwerpunkt ist ja Brustkrebs...
Nicht nur. Wir haben gerade die Minister davon überzeugt, dass wir eine engere und besser koordinierte Krebsforschung betreiben müssen. Das ist ein tolles Ergebnis. Zum Thema Brustkrebs: Ohne mich gäbe es die Diskussion um die Brust-Zentren und um die Qualitätskriterien nicht. Das Beispiel zeigt, dass man einiges erreichen kann, wenn man jahrelang kontinuierlich an einem Thema arbeitet.
Was sagen die Rumänen und Bulgaren, wenn sie jetzt von den EU-Standards für Brustkrebs-Früherkennung hören?
Die sind erst einmal froh, dass sie Unterstützung bekommen beim Aufbau besserer Gesundheitsstrukturen, denn die zwölf neuen Mitgliedsstaaten können – anders als wir – aus dem europäischen Strukturfonds Mittel beantragen, um zum Beispiel Mammographie-Screening einzuführen. Fragen: kawe