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Archiv-Artikel

Critical Mass hoch zehn

STERNFAHRT Wie kommt man am besten, schnellsten und schönsten nach Berlin-Mitte? Mit dem Fahrrad – morgen werden das wieder Zigtausende unter Beweis stellen

Es ist mal wieder so weit: Am Sonntag, 1. Juni, wird von 11 bis 19 Uhr das 19. Umweltfestival zelebriert. Europas größte ökologische Veranstaltung dieser Art. Vielleicht der ganzen Welt, wer weiß das schon genau. Ort der Bühnen, Buden und Aktionen: Berlin, Straße des 17. Juni, an diesem Tag Erlebnismeile genannt. Veranstalter ist die Grüne Liga, und die kooperiert mit dem Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, genauer dem ADFC Berlin. Der ist zuständig für die am selben Tag stattfindende Fahrradsternfahrt, die wie jedes Jahr mehrere Routen, aber nur ein Ziel hat: eben das Umweltfestival.

Für Susanne Grittner ist der Sonntag ein Fahrradfeiertag und zugleich ein Arbeitstag. Was wohl auch für die rund 150 Ordner der Sternfahrt gelten dürfte. Extra geschulte ehrenamtliche Kräfte, die darauf achten werden, dass niemand unter die Räder kommt, alle das Ziel erreichen.

200.000 werden erwartet

Und wenn es diesmal nicht gießen sollte wie im letzten Jahr, dann dürfte es sich dabei um gut 200.000 Radler handeln, schätzt Susanne Grittner, beim ADFC Berlin zuständig für Planung und Organisation des Velo-Meetings. Vor gut sechs Monaten hat sie bereits damit begonnen. Hat die letztjährigen Routen gecheckt, verändert und ergänzt, mit der Polizei in Berlin und Brandenburg verhandelt, sich um die Ordnerschulungen und die ganzen Detailfragen gekümmert. Es werden 500 bis 600 Arbeitsstunden zusammengekommen sein, die Susanne Grittner, man glaubt es kaum, unentgeltlich abgeleistet hat.

Neben all den innerstädtischen Strecken und Teilstrecken ist auch diesmal an die Distanzen für Kilometerhungrige gedacht worden. In mehreren Orten des Berliner Umlandes wird schon vormittags gestartet, in Frankfurt an der Oder bereits um 6.45 Uhr. Noch früher geht’s in Polen los, in Szczecin. „Der dortige Radclub Rowerowy Szczecin fährt diese Strecke bereits seit Jahren, ist immer schon am Vorabend gestartet und hat sich dann in Eberswalde der Sternfahrt angeschlossen“, so die Organisatorin. Und nun, zum ersten Mal, freut sie sich, bietet dies der ADFC als komplett geführte Route an. 180 Kilometer sind bis Berlin-Mitte abzureißen, der Großteil nachts.

Aber bitte nicht nackt!

Die Nachtradler sind willkommen, die Nacktradler eher nicht. Beim ADFC erinnert man sich überhaupt nicht gern, wie sie 2010 versuchten, als unangemeldete Gruppe für ihren unkonventionellen Fahrstil zu werben. Die Polizei drohte, die gesamte Sternfahrt zu stoppen. Hans-Christian Ströbele, Berlins bekanntester Radfahrer, konnte vermitteln. Dabei soll die Sternfahrt nicht nur Familienausflug und Sonntagsvergnügen sein. Für den ADFC ist es in erster Linie eine Fahrraddemonstration, und zwar die größte weltweit. Critical Mass im Feiertagsformat. Und als Demo steht sie alljährlich unter einem handfesten Motto. Sie soll Forderungen transportieren, die alle Teilnehmer unterschreiben dürften, nicht nur kuriose Splittergruppen. „Radsicherheit für Berlin: Freie Radspuren!“, darum geht es diesmal. Um mehr Sicherheit für Radler durch eine bessere Infrastruktur. Um Widerstand gegen das wilde Parken auf Schutz- und Radfahrstreifen. Die Sternfahrt oder Demo soll letztendlich zeigen: Radfahren in der Stadt ist nicht nur eine verkehrspolitische Notwendigkeit. Das Umsteigen ist ohne Weiteres möglich und macht Spaß – auch unter den heutigen Bedingungen.

Susanne Grittner glaubt, dass dies jedes Jahr mit Erfolg vermittelt wird: „Zumindest in den Wochen danach habe ich immer das Gefühl, es sind mehr Menschen mit dem Fahrrad unterwegs als zuvor.“ HELMUT DACHALE