„Urteil legt Hartz IV nicht für ewig fest“

Der monatliche Regelsatz reicht nicht zum Leben – schon gar nicht in einer Stadt wie Hamburg, sagt Dirk Hauer von der Diakonie. Langsam sehe das auch die Politik ein. Die Wohlfahrtsverbände wollen für eine Anhebung kämpfen

taz: Herr Hauer, das Bundessozialgericht hat vorletzte Woche entschieden, dass 345 Euro zum Leben ausreichen.

Dirk Hauer: Es wurde entschieden, dass die 345 Euro nicht verfassungswidrig sind. Ob das reicht oder nicht, darüber kann man streiten. Die Entscheidung heißt nicht, dass es bei diesen 345 Euro bleiben muss.

Welche Bedeutung hat das Urteil?

Der gegenwärtige Satz von 345 Euro ist auf jeden Fall nicht bedarfsdeckend und wird es auch in Zukunft nicht sein. Bei der Berechnung dieses Regelsatzes sind einige Faktoren einfach nicht berücksichtigt worden. Es fehlen zum Beispiel die zusätzlichen Kosten, die durch die Gesundheitsreform entstehen.

Wie sieht die Situation in Hamburg aus?

In Hamburg kommt verschärfend hinzu, dass im Vergleich zu anderen Bundesländern die Lebenshaltungskosten höher sind. In Hamburg ist das Leben teurer als zum Beispiel in einigen Regionen Ostdeutschlands. Hier decken 345 Euro im Monat erst recht nicht den Bedarf.

Was ist das größte Problem für ALG II-Empfänger in Hamburg?

Dafür muss man sich nur die Preise zum Beispiel für Miete oder den öffentlichen Nahverkehr in Hamburg angucken. Und natürlich die Zuzahlung bei Medikamenten oder die Praxisgebühren. Durch die Mehrwertsteuererhöhung 2007 wird sich das Problem noch verschärfen. Die ist ja im Regelsatz auch nicht berücksichtigt. Zudem werden die 345 Euro noch nicht einmal an die Inflationsentwicklung angepasst.

Welchen Eindruck haben Sie, wie die Betroffenen damit umgehen?

Die Reaktionen werden sicher unterschiedlich sein. Immer mehr Menschen werden auf notwendige Dinge verzichten müssen. Sie werden sparen: Bei der Gesundheitsvorsorge, bei der Hygiene, beim Essen. Die Menschen können nicht mehr auf gesunde Nahrung achten. Man muss gucken: Was ist das Billigste.

Welche Folgen hat das Urteil für Ihre Arbeit?

Die Wohlfahrtsverbände weisen seit geraumer Zeit darauf hin, dass sich die Armutsschere durch Hartz IV vergrößert. Das geschieht gerade in einer Stadt wie Hamburg. Das Grundsatzurteil legt den Eckregelsatz aber nicht für ewig fest. Der ist nach wie von veränderbar und daran wollen wir arbeiten. Notfalls müssen wir dicke Bretter bohren.

Wie wird diese Arbeit aussehen?

Wir müssen Überzeugungsarbeit leisten. Wir sammeln Beispiele und zeigen der Politik, was es konkret bedeutet, von 345 Euro im Monat zu leben. Ein Beispiel sind die Mietobergrenzen in Hamburg. Die Diakonie weist seit langem darauf hin, dass diese zu niedrig sind. Das ist ein langer und mühseliger Diskussionsprozess. Ich habe aber den Eindruck, dass sich hier etwas bewegt. Politik und Verwaltung kommen zunehmend zu der Überzeugung, dass die Mietobergrenzen tatsächlich zu niedrig sind. So wird das hoffentlich auch beim Regelsatz sein.

INTERVIEW: LISA THORMÄHLEN

Dirk Hauer diskutiert heute beim Ökumenischen Forum Sozialpolitik mit Michael Klahn von der Hamburger Sozialbehörde, dem Chef der Arge Hamburg-Harburg, Jürgen Schlenker, sowie Sieglinde Friess von ver.di über die Angemessenheit des Regelsatzes: 17 Uhr, Danziger Str. 64, Hamburg-St. Georg