: Ein bezaubernder Frosch
HANDBALL Der Sieg der SG Flensburg-Handewitt im Champions-League-Finale gegen den THW Kiel ist auch eine sportökonomische Sensation und weckt weitere Sehnsüchte
AUS KÖLN ERIK EGGERS
Es war doch eine Fiktion, findet Manfred Werner: „Wenn man das als Drehbuch entworfen hätte, dann wäre diese Dramaturgie als zu fantastisch und unrealistisch abgelehnt worden.“ Dass die SG Flensburg-Handewitt tatsächlich die Handball-Champions-League gewann, im Finale gegen den großen Rivalen THW Kiel (30:28), im Halbfinale nach einem dramatischen Siebenmeterwerfen gegen den FC Barcelona, den erfolgreichsten Klub der Geschichte – „das ist“, sagt Werner sichtlich bewegt, „wirklich so was von unglaublich“.
Der ehemalige Personalchef der Feldmühle AG war 1990 einer der entscheidenden Antriebskräfte, als der heutige Klub aus einer Fusion der SG Weiche-Handewitt mit dem TSB Flensburg entstand. Seinerzeit gab es die Vision, sich irgendwann mit dem großen THW messen zu können, dem deutschen Vorzeigeklub schon damals. Ein Vierteljahrhundert später ist der THW nach wie vor der Maßstab aller Dinge; die „Zebras“ haben 19 Meisterschaften gewonnen, die SG eine (2004), die Kieler haben neun Pokalsiege auf dem Konto, die SG hat drei. „Dieses Duell hat beide Vereine hochgepusht“, glaubt Werner. „Aber das eigentliche Wunder ist, dass wir seit zwei Jahrzehnten in diesem schwachen wirtschaftlichen Umfeld dieses hohe Niveau spielen können.“
Das Team um Kapitän Tobias Karlsson, dem furchtlosen Anführer aus Schweden, hatte ebenso furchtlos gefeiert im Hotel Flamingo Royal in Köln, und dann weiter, nach dem Rückflug, auf dem Südermarkt im Herzen Flensburgs. 85.000 Einwohner hat die nördlichste Stadt der Republik, hier und in den Dörfern wie Schnarup-Thumby und Hürup existierte eine überaus lebendige Handballkultur, und seit über acht Jahrzehnten kämpft man als David gegen die Übermacht des THW, weshalb dieser Sieg bei den Fans einen noch höheren Stellenwert besitzt. „Für uns Profis ist dieser Titel ein großer Moment, aber für unsere Fans ist das alles noch viel größer“, weiß Karlsson.
Der Raum begrenzt hier die Mittel. Im Norden ist Dänemark, sagt Werner, „und im Süden ist der Nord-Ostsee-Kanal unsere natürliche Grenze, das Gebiet südlich davon ist THW-Land.“ Große Industrieunternehmen sind im Landesteil Schleswig nicht angesiedelt. Während die Rhein-Neckar-Löwen just einen Vermarktungsvertrag mit IMG ausgehandelt haben, der pro Jahr gut 6 Millionen Euro einbringt, muss die SG jährlich diesen Betrag aus Zuschauererlösen und von vielen kleinen Sponsoren akquirieren. Wenn die SG, die jahrzehntelang aus der Perspektive eines Froschs zu den Großen hinaufblickte, nun den weltweit größten Titel des Klubhandballs hält, ist das auch sportökonomisch eine Sensation.
Die Sympathien fliegen dem Außenseiter aber deshalb so zu, weil die SG in dieser Saison über lange Strecken den schönsten Handball spielte: blitzschnell, frech, kombinationssicher und auf technisch teils absurd hohem Niveau – Symbol dieses Hochgeschwindigkeitshandballs war der Kempa-Trick im Finale von Köln, den die Flügel Lasse Svan Hansen und Anders Eggert zur 20:19-Führung aufführten. In Köln siegte auch der Geist gegen den Körper. Schon in der Bundesliga hatte SG-Trainer Ljubomir Vranjes mit diesem Stil vor Weihnachten die Kieler zerlegt, dann aber warfen Verletzungen den Klub zurück. Durch die Ausfälle bekam aber das 21-jährige Supertalent Jim Gottfridsson viele Einsatzzeiten, ohne die der schwedische Spielmacher im Finale nicht hätte so auftrumpfen können. Der altgediente Funktionär Werner weiß aber auch, dass nun zwangsläufig Sehnsüchte nach einer zweiten Meisterschaft geweckt werden. „Dieser Sieg ist einerseits ein Signal für den deutschen Handball, dass nicht nur der THW gewinnen kann“, sagt Werner. „Andererseits ist dieser Titel für die SG auch eine Verpflichtung.“ Nach diesem Film von Köln, das wäre in Hollywood auch nicht anders, verlangen die Fans nach einer Fortsetzung.