: Das Gedicht aus der Straßenbahn
Im Boot mit argwöhnisch beäugten Künstlern: Die Ausstellung „Im Malstrom subversiver Worte“ aus dem Archiv von Gerhard Wolf erinnert im Forum Amalienpark an das Geflecht von Musik, Kunst und Literatur, das in der späten DDR auf Verdacht stieß
VON JÖRG SUNDERMEIER
Im Kunst und Literatur Forum Amalienpark in Pankow ist zurzeit eine große Auswahl von Werken der dissidenten Maler- und Texterszene der DDR zu sehen, die in den 80er-Jahren noch einmal für Furore in dem künstlerisch ansonsten eher dahindümpelnden Staat sorgten. Eigentlich hätte man nicht damit rechnen können, dass man diese Bilder und Texte noch mal in einem solchen Umfang ausgestellt sieht.
Denn im Jahr 1991 nutzte Wolf Biermann seine Büchner-Preis-Rede, um mit dem IM Sascha Anderson abzurechnen und zugleich mit der gesamten so genannten Prenzlauer-Berg-Szene, der er „die angestrengt unpolitische Pose von spätdadaistischen Gartenzwergen“ unterstellte. Da er endlich einen Anlass hatte, sich den Dissidenten gegenüber zum Superdissidenten zu stilisieren, die ihre manchmal ja wirklich sehr harmlosen Späßchen durchaus auch mit Repressionen bezahlen mussten, steigerte sich Biermann in den Satz hinein: „Sascha Anderson wäre auch dann ein Arschloch, wenn er kein IM gewesen wäre.“
Doch nun singt Biermann seine Protestsongs für die CSU. Diejenigen aber, die er und seine Mitstreiter damals dem Vergessen anheimgegeben haben wollten, werden heute wiederentdeckt. Einige haben schon längst wieder Erfolg: Der Dichter und Grafiker Johannes Jansen etwa veröffentlicht im angesagten Verlag kookbooks, der reumütige Sascha Anderson hat gerade eine eigene literarische Reihe begründet, der Maler Ronald Lippok wird als Musiker bei Tarwater und To Rococco Rot weltweit gefeiert, der Dichter Bert Papenfuß betreibt das Kaffee Burger, und Durs Grünbein kriegt alle Literaturpreise. Andere, die längere Zeit geschwiegen haben, etwa Stefan Döring, publizieren neue Texte. Dritte, wie Flanzendörfer, sind jedoch bereits tot.
So oder so ist es also eine gute Zeit, um Bilanz zu ziehen, und wie könnte man das besser, als mit einem Zugang zum Archiv von Gerhard Wolf. Der 1928 geborene Wolf, den manche noch immer nur als Gatten von Christa Wolf kennen, war eine Art Nestor der Szene, und in den 80er-Jahren hat er sich nicht zum ersten Mal zu den von der DDR-Führung argwöhnisch beäugten Künstlern ins Boot gesetzt.
Schon Mitte der 60er-Jahre kümmerte sich Wolf als Herausgeber um Volker Braun, Karl Mickel oder Sarah und Rainer Kirsch. In den 80er-Jahren dann traf er auf die so genannte Prenzlauer-Berg-Szene, auch auf Gruppen in Karl-Marx-Stadt oder Dresden wurde er aufmerksam. Einige Künstler konnte er in den letzten Jahren des „anderen deutschen Staates“ in der von ihm betreuten Edition „Außer der Reihe“ im Aufbau-Verlag veröffentlichen. Nach 1991 wurden die Bücher allerdings, erzählt Gerhard Wolf, vom Verlag auf den Müll geworfen, nicht einmal mehr verschenkt. Gerhard Wolf reagierte, indem er den Verlag Janus Press gründete, in dem bis heute Jahr für Jahr aufwendig gestaltete Lyrikbände und Grafikmappen erscheinen.
In der Akademie der Künste am Pariser Platz werden zurzeit Künstlerbücher, Briefe und Manuskripte aus dem Archiv Gerhard Wolfs präsentiert. Interessanter aber ist die als „Begleitprogramm“ annoncierte Ausstellung „Im Malstrom subversiver Worte“ in Pankow. Dort sind die Künstlerbücher von Cornelia Schleime oder die Bilder von Helge Leiberg zu sehen, die beide der Dresdner Künstlergruppe Malstrom angehörten.
Auch viele Exponate der Chemnitzer Gruppe Clara Mosch werden gezeigt, vor allem die „Sprachblätter“ des Carlfriedrich Claus stechen heraus, der mit seinen damals 50 Jahren zu den ältesten unter den jungen Wilden zählte. Daneben werden die Berliner präsentiert. In allen Gruppen arbeiteten Maler, Autoren und Musiker eng zusammen.
Die Produktionsumstände waren oft haarsträubend. Leonhard Lorek erzählt von einem Langgedicht, das er in den Computerräumen in der Humboldt-Uni eingetippt und ausgedruckt hat, als „Ästhetik-Student“ getarnt und immer argwöhnischer beäugt von den anwesenden Mathematikern. Schließlich brach er den Ausdruck nach einigen Exemplaren entnervt ab, ein Teil der Ausdrucke ging dann noch bei einer Bahnfahrt verloren. Gerhard und Christa Wolf aber haben einen dieser übermalten Ausdrucke erworben und, wenn man so will, gerettet. Nun wird er wieder gezeigt. Der Zusammenhang der gezeigten Werke liegt in ihrer Subversion – wobei nicht immer politisch motiviert sein muss, was politisch wirkt. Christoph Tannert, einst selbst Teil dieser Szene, betonte bei der Vernissage, das, was „all diese Stimmen, Bilder und Zeichen trägt, heißt Angstlosigkeit und innere Freiheit“. Lediglich Biermann wird das noch heute nicht akzeptieren können.
„Im Malstrom subversiver Bilder“ im Kunst und Literatur Forum Amalienpark, bis 13. Januar 2007, Di.–Fr. 14–18.30 Uhr, Sa. 11–16 Uhr