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Archiv-Artikel

Studirevoluzzer wollen ins Prollnetz

Der linkslastige Dachverband der Studierendenschaften, fzs, will die Massen erreichen und mit dem Flirt- und Baggerportal StudiVZ kooperieren. Die engagierten Hochschulvertreter wären ein prima Aushängeschild, um den ramponierten Ruf der schlüpfrigen Kontaktbörse für StudentInnen zu retten

AUS BERLIN MARTIN KAUL

Einmal eine Demo organisieren, zu der eine Million Studierende kommen – was auf dem Campus nicht klappt, soll in Zukunft per Mausklick funktionieren. Die Internetplattform StudiVZ, mit über einer Million NutzerInnen, scheint als Organisationsplattform wie geschaffen. Das meint jedenfalls der freie zusammenschluss der studentInnenschaften (fzs). Nach Informationen der taz plant der Dachverband der Studierendenvertretungen in Deutschland, in die Netzbörse einzusteigen.

Eine merkwürdige Liaison: Der fzs publiziert vor allem spaßfreie Postulate gegen Studiengebühren. Diese elektrisierten bisher nur eine Minderheit der 1 Million Studis, die der fzs nach eigenen Angaben vertreten will. StudiVZ ist dagegen als zweifelhafte Bagger- und Party-Community aufgefallen. Eine mit enormem Zulauf allerdings.

Vor gerade mal einem Jahr gründeten der Wirtschaftswissenschaftsstudent Ehssan Dariani und Informatikstudent Dennis Bemmann die Seite. Heute ist sie nach eigenen Angaben das größte Studi-Netzwerk in Europa. Die Idee kommt aus den USA. Hier lernte Dariani „Facebook“ kennen, eine Internetplattform für „Social Networking“, die das Studi-Leben in Nordamerika revolutionierte. Eine wachsende Nutzergemeinde kann sich finden und darstellen, Fotoalben anlegen, Kontakte pflegen, Freunde sammeln. Dariani und Bemmann kopierten das System und übersetzten es ins Deutsche.

Nach Hochschulen sortiert, gruppiert das Programm die einzelnen Studis zueinander – und wer wissen will, wer denn noch so da ist, findet per Klick zur Studentin, die sich am anderen Ende der Republik mit gleichen Fragen beschäftigt hat. Gleiche Fragen, das heißt im StudiVZ in der Regel: „Bist du Single?“, „Auf der Suche?“ oder „Nimmst du an der Miss-Wahl teil?“ Wissenschaft? Hochschulpolitik? Fehlanzeige.

Das, dachten sich einige im politischen Studentennetzwerk fzs, geht auch anders. Und leierten die Kooperation mit dem www-Netzwerk an. Neben Rubriken wie „Meine Freunde“ oder „Meine Gruppen“ soll eine weitere entstehen: „Mein Studium“. Dort sollen neben Infos zum Bafög auch Links zum fzs, den Landesstudierendenvertretungen und den einzelnen Asten eingestellt sein. Sie hätten so den schnellen Draht zu Millionen Studierenden. So viele waren noch nie vernetzt.

Gespräche zwischen StudiVZ und fzs gab es bereits. Noch ohne konkrete Folgen. Für Ärger sorgt die Verbindung bereits jetzt: „Mit dieser Horrorplattform zu kooperieren ist nicht mit einem emanzipatorischen Anspruch zu verbinden“, sagt Daniel Bruns, Ex-Gremienvertreter im fzs. „Das ist keineswegs eine technische, sondern eine politische Frage.“ Eine andere Stimme aus dem Dachverband bestätigt: „Im fzs rumort es.“

Kein Wunder. Denn StudiVZ-Gründer Ehssan Dariani steht ebenso in der Kritik wie sein Produkt. Zu seinem Geburtstag lud er mal locker über die Website „www.voelkischerbeobachter.de“ ein. Er verwendete in einem „Kampfblatt der Vernetzungsbewegung Europas“ Nazi-Symbole als flotte Gags. Dariani hat sich einen Spaß daraus gemacht, Frauen nachzustellen und zu filmen. Zum Beispiel betrunken auf der Toilette. Die Videos stellte er ins Netz. Erst nach Medienschelte und Aufruhr unter den UserInnen fiel ihm die Entschuldigung ein, „viel Mist“ gebaut zu haben.

Sein Profil steht sinnbildlich für die Community, die seine Zukunft werden könnte. So einfach die Nutzeroberfläche ist, so oberflächlich – und folgenreich – wird sie benutzt. Da treffen sich die UserInnen gern mal in der Gruppe „Sex ist nur schmutzig, wenn er richtig gemacht wird“. Thema: Penislängen und Körbchengrößen. In organisierten Männerzirkeln werden Miss-Wahlen mit Frauen durchgeführt, die davon gar nichts wissen.

Marie Burowska (Name geändert) erfuhr erst durch die taz von ihrer Nominierung. Vorher hatte sie sich schon gewundert, weshalb sie täglich Dutzende anzüglicher Mails bekam. In anderen Fällen wurden die „Gewinnerinnen“ gleichzeitig von zahllosen, meist männlichen Nutzern virtuell begrapscht und bekuschelt. „Gruscheln“ nennt sich dieses Hobby, eine Mixtur aus virtuellem Grüßen und Kuscheln.

Im StudiVZ registrieren sich zum größten Teil Menschen unter ihrem richtigen Namen. So wird eine „Miss StudiVZ“ nicht nur im Netz schnell bekannt, sondern auch an ihrer Heimatuni. Aus dem Studiverzeichnis sollen sich einige der Cyber-Stalking-Opfer mittlerweile ausgetragen haben. Die StudiVZ-Moderatoren reagierten alles andere als über. Als sie auf die Porno-Gruschel-Gruppe aufmerksam gemacht wurden, baten die Mitglieder, die „pornografischen Elemente“ zu löschen, ansonsten sei aber alles „absolut okay“. In der gleichen Mail fragten sie an, ob sie bei der Miss-Wahl mitstimmen dürften.

Über diese verlotterten Umgangsformen bei StudiVZ sind organisierte Studierende entsetzt. Vor „Sexismus, entgleister Rhetorik und gravierenden Datenschutzmängeln“ bei StudiVZ warnen etwa die Studierendenvertretungen von Humboldt- und Freier Uni in Berlin. Sie empfehlen ihren KommilitonInnen nicht etwa zu fusionieren, sondern dem Netzwerk grundsätzlich fernzubleiben.

Diesen Rat gibt es auch aus der Blogger-Szene. Denn dass hinter der „Privatsphäre“, auf die Videovoyeur Dariani angeblich „sehr viel Wert legt“, riesige Datenlecks klaffen, scheint offensichtlich. Blogger hatten gezeigt, wie einfach es für den einigermaßen gewitzten User ist, private Bilder aus dem StudiVZ runterzuladen, selbst wenn diese für andere gesperrt wurden. Bis gestern lag das Webportal mal wieder für einige Tage still. Das Netzwerk ist ein beliebtes Ziel für Hacker-Angriffe. Weil diese an sensible Daten kommen könnten, musste StudiVZ das Portal komplett offline schalten. Inzwischen hat das Unternehmen eine Prämie für User ausgelobt, die Sicherheitslücken melden.

Selbst unkritischen NutzerInnen gehen die dauernden technischen Pausen auf die Nerven. Der Imageschaden für das ambitionierte Newcomer-Unternehmen ist enorm. Längst ist das Projekt zum deutschen Symbol dafür geworden, wie ein schnell wachsendes Datennetz gefährlich außer Kontrolle geraten kann. Jetzt sollen die NutzerInnen wenigstens vor dem Gruppen-Stalking geschützt werden – durch einen Verhaltenskodex, der gemeinsam mit ihnen erstellt wird.

Dass in diesem Gewusel ein paar solide Infos über Studiengebühren, Abbrecherquoten und Asta-Adressen ein seriöser Service wären, leuchtet ein. Die Jungunternehmer allerdings rechnen anders: Sie wollen dem fzs zwar gestatten, Content einzupflegen – erwarten dafür jedoch eine „Gegenleistung“. Asten und Studierendenräte sollen in der ganzen Republik Flyer fürs StudiVZ verteilen. Kostenlos. So würden die Grabbel-Netzwerker doppelt profitieren. Zum einen würden die Studierendenvertreter mit ihrem seriösen Ruf das Flirtportal aufwerten, gleichzeitig halten sie im ganzen Lande als Werbeträger her.

Kapital aus dieser kostenlosen Dienstleistung könnte unter anderem die Holtzbrinck Ventures GmbH schlagen. Mit etwa 2 Millionen Euro ist Holtzbrinck größter Investor der Internetplattform. Das heißt: Die emanzipatorische Studi-Bewegung dürfte dann auch für die Profite von Risikoanlegern rackern.

Der Ausschuss der StudentInnenschaften (AS), das zweithöchsten Organ im fzs, hat bereits den Beschluss gefasst, dass eine Kooperation mit StudiVZ anzustreben sei. In einem Arbeitstreffen wollen die potenziellen Partner in dieser Woche das Weitere klären. „Priorität hat für uns dabei, wie StudiVZ mit den vielen Vorwürfen umgeht, die derzeit gegen die Plattform erhoben werden“, sagt fzs-Vorstandsmitglied Janett Schmiedgen. „Prinzipiell sehe ich aber, dass wir mit StudiVZ Studierende erreichen können, die sonst den Weg zum Asta scheuen.“