: Du bist Tempo
Am Freitag erscheint die lang erwartete Sonderausgabe des Magazins „Tempo“ – nicht ganz pünktlich zum 10. Jahrestag seiner Einstellung. Aber perfektes Timing gehörte nie zum Konzept von Markus Peichl, Gründungschefredakteur von „Tempo“.Was ist geblieben vom Geist seines80er-Jahre-Prestige-Objekts?
VON HANNAH PILARCZYK
Aus einer Liste der Dinge, die man mit 30 sein lassen soll, erschienen in Tempo Nr. 8/1988:
– dauernd über zukünftige Projekte reden
– gut finden, was alle schlecht finden
– auf seine Unpünktlichkeit stolz sein
Gut, dass Tempo erst 20 ist, sonst müsste man bei Gründungschefredakteur Markus Peichl noch mal genauer nachfragen. Dreimal wurde der Erscheinungstermin der Jubiläumsausgabe verschoben. Nun soll die einmalige Sondernummer zum 20. Geburtstag und 10. Jahrestag der Einstellung des legendären Magazins an diesem Freitag in den Läden liegen. Als Begründung für die Verzögerung erklärt Peichl bei einem Treffen Mitte November in den Redaktionsräumen in der Berliner Chausseestraße: „Wir wollten die Journalisten testen, wer darauf mit Häme reagieren würde und wer das Augenzwinkern dabei erkennen könnte“ – Peichl wurde einst wegen chronischen Überziehens des Redaktionsschlusses gefeuert.
Dass Peichl der ganzen Verschieberei einen spielerischen Anstrich geben will, ist verständlich. Geht es doch nicht nur um ein wenig Denkmalpflege am größten journalistischen Mythos der letzten zwanzig Jahre in Deutschland. Zusammen mit Tempo probt auch Peichl das Comeback. Als Übervater und Underdog des deutschen Zeitschriftengeschäftes zugleich. Zu einem Test, „was Journalismus leisten kann“, hat die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung die Sondernummer bereits stilisiert. Und natürlich kann man Peichl in seinem Optimismus und seiner Kampfeslust folgen, die er auch nach bald 25 Jahren im Geschäft noch ausstrahlt. Man kann aber auch nachfragen, ob er nicht Angst hat, mit dem Comeback den alten Ruf zu ruinieren. Schließlich hat sich sogar das Berliner Boulevard-Blatt B.Z. zur Wiederkehr von Tempo den Kommentar nicht verkneifen können: „Es wird sicher spannender als das Genesis-Revival.“ Doch Peichl sagt dazu: „Tempo ist nicht kaputtzumachen – das wurde schon von viel illustreren, wichtigeren Leuten als mir gebasht. Nein, Tempo ist eine Art periodischer Monolith. Der steht einfach für sich.“
„Tempo war das Zentralorgan der deutschen Achtzigerjahre“, schrieb Andrian Kreye, ein ehemaliger Autor der Heftes, in der Süddeutschen Zeitung. Kein Zufall, dass er Tempo den größten Einfluss während Peichls Zeit zuschreibt: Von 1986 bis Anfang 1990 war Peichl Chefredakteur – ewig angetrieben von Ehrgeiz und einer Unmenge Cola, die ehemalige Mitarbeiter noch heute den Kopf schütteln lässt. In seiner Heimatstadt Wien hatte Peichl, Jahrgang 1958, das Stadtmagazin Wiener geleitet, bevor er nach Hamburg zu Tempo wechselte. Dort radikalisierte er, was sich im Wiener bereits angebahnt hatte: die deutsche Version des New Journalism von Tom Wolfe und William S. Burroughs. Subjektiv, stilbewusst, ironisch, geblendet von den Fegefeuern der Eitelkeit. Mit seinem absoluten Willen zur Haltung beeinflusste Tempo dabei eine Generation von Autoren, Karrieren, die hier begannen, führten oft auch in leitende Positionen bei etablierten Medien (siehe Kasten).
„Tempo war ein Befreiungsschlag“, sagt Peichl heute. Gegen die 1968er, gleichzeitig nicht konservativ, gegen das verzweifelte Festhalten am Primat der Hochkultur, gleichzeitig versnobbt in seiner Konsumgeilheit. Von den fünf Chefredakteuren, die Tempo hatte, gelang nur Peichl dieser multiple Spagat. Schaut man sich heute Hefte aus dieser Zeit an, so springt einen das Genialische seiner Mischung noch immer an: Großartiges neben sagenhaft Dämlichem. Ein Test, welcher deutsche Bürgermeister auf Grundlage eines KZ-Grundrisses ein Lager für Aids-Kranke in seiner Stadt bauen würde, neben einer Top-Ten-Liste der „Sexidole 1986“, in der Libyens Staatschef Gaddafi auftaucht, „heiß wie Wüstensand“. Im Jahr 1986 wurde in Berlin im Auftrag Libyens die Disko La Belle in die Luft gesprengt. Drei Menschen starben dabei.
Sonstige Abnutzungserscheinungen? Nein, die Fotos sehen trotz Dauerwellen und Achselhaaren, Neonfarben und Lipgloss nach wie vor gut aus. Allein die eigentlich zeitlos legendären „Hundert Zeilen Hass“ von Maxim Biller lesen sich etwas angestaubt. Sätze wie: „Winter ist gut. Im Winter fühlen sich die anderen genauso beschissen wie ich“ lassen einen mittlerweile mehr an „Bernd das Brot“ als den ultimativen journalistischen Arschtritt denken.
„Tempo hat sich nie vor klaren Aussagen gedrückt. Es hat immer ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ gesagt, ‚gut‘ oder ‚schlecht‘ – auch auf die Gefahr hin, dass man mit einer solchen Festlegung mal falsch liegt“, fasst Peichl das Tempo-Ethos zusammen. Seit seiner Entlassung hat er keine Ausgabe mehr in den Händen gehabt, erst als die Sondernummer Form annahm, fing er wieder an, in den alten Heften zu blättern. Und war begeistert und irritiert zugleich. „Mittlerweile misstraue ich Autobiografien, die allein auf den Erinnerungen der Autoren basieren. Nachdem ich mir die alten Ausgaben angeschaut habe, ist mir bewusst geworden, wie viel ich glaubte, aus dieser Zeit zu erinnern, und wie wenig ich tatsächlich erinnerte.“
Solche Sätze lesen sich gut, sind aber nur Textbausteine, mit denen Peichl sämtliche Interviews seit Ankündigung der Jubiläumsnummer bestreitet. Schade und nicht ganz verständlich, denn eigentlich hat Peichl massenhaft tolle Anekdoten auf Lager. Am Ende eines Pressegesprächs im September, beim Wein, erzählt er zum Beispiel die vom Besuch bei Gerhard und Hillu Schröder in Hannover Ende der Achtziger. Bei dem Peichl und sein Kollege Matthias Horx zusammen mit Schröder auf den Balkon zum Rauchen müssen und sich dort die Füße abfrieren, weil Hillu nur Socken im Haus erlaubt.
Zum Glück gibt es aber genügend Leute, die nun Anekdoten über Peichl erzählen. Autor Tom Schimmeck, unter Peichl ein Jahr bei Tempo, erinnert sich daran, wie der Chef eines Tages in die Redaktion kommt und verkündet, er müsse jetzt etwas zu „den Tagen des Mannes“ schreiben. „Das war absolut recherchefrei, komplett ausgedacht!“, sagt Schimmeck. Ein anderes Mal setzt sich Peichl in den Kopf, den Egon-Erwin-Kisch-Preis zu gewinnen. Er schreibt über Nacht einen Text über einen Freund, der an den Rollstuhl gefesselt ist. Schimmeck kriegt den Text zum Redigieren vorgelegt und ist beeindruckt: „Das war sehr einfühlsam. Man darf wirklich nicht vergessen, dass Peichl auch ein talentierter Schreiber ist.“ Das sieht auch die Jury des Reportage-Preises so: Mit „Über einen, der sitzt“ erreicht Peichl 1985 den dritten Platz.
Auch das war halt Tempo: aus den Fingern Gesogenes, Improvisiertes, frei Erfundenes. Bei dem Pressegespräch im September darauf angesprochen, wird Peichl auf einmal laut und verbissen: die gefälschten Interviews und Texte, für die Tempo-Autor Tom Kummer später berühmt wird, seien nie in seinem Heft erschienen – immer nur im Magazin der Süddeutschen Zeitung! Peichl weiß halt, welche Regeln man einhalten muss, wenn man weiter in den Mainstream-Medien mitspielen will – schließlich gilt Kummers „Borderline-Journalismus“ als einer der größten Sündenfälle der deutschen Presse. Und ist auch in den 16 Jahren, in denen Peichl von der Tempo weg gewesen ist, nicht vergessen.
In der Zwischenzeit hat Peichl Fernsehen gemacht, Talk- und Reality-Shows für Premiere, zuletzt Redaktionsleiter bei „Beckmann“. Als Leiter der Lead Academy verteilt er seit 2001 an überwiegend befreundete Kollegen Preise für innovative Zeitschriften, Fotos, Anzeigen und Websites. An ein eigenes Magazin hat man ihn, obwohl als exzellenter Blattmacher branchenweit geschätzt, nicht mehr rangelassen – die Unpünktlichkeit schreckte alle Verleger ab.
Nun darf er also wieder – wobei die Tempo-Sonderausgabe nur das Warm-up ist. Für den Spiegel entwickelt er zurzeit auch ein Kulturmagazin, Arbeitstitel Momo. Hört man sich beim Spiegel um, sind eigentlich alle schlecht auf das Projekt zu sprechen. Die, die noch nichts gesehen haben, wurmt es, dass da was fern der Hamburger Zentrale entwickelt wird. Und die, die bereits etwas gesehen haben, sind auch vergrätzt: weil Peichl wohl noch nicht einmal eine Probenummer präsentieren konnte, sondern nur einzelne Entwürfe parat hatte. Aber wie sagte Peichl schon nach der Entlassung bei Tempo? „Ein pünktliches Heft kann jeder Idiot machen.“ Ob mehr vom Tempo-Geist übrig geblieben ist als das? Freitag mehr.