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Archiv-Artikel

„Putin ist verantwortlich“

INTERVIEW BARBARA OERTEL

taz: Der russische Exagent Alexander Litvinenko war ein guter Freund von Ihnen. Heute wird er in London beigesetzt. Was geht Ihnen durch den Kopf?

Andrej Nekrassow: Ich stehe immer noch total unter Schock. Alexander, wie er gelitten hat, dieser langsame quälende Tod. Er wollte unbedingt überleben, dem Feind nicht den Sieg gönnen. Da war so etwas wie Wut. Als ihm klar wurde, dass er sterben würde, wich diese Wut einer Demut. Das war für mich fast wie eine religiöse Erfahrung. Diese Tat wurde durch den bösen Willen von Menschen verursacht. Das hat mich gebrochen. Ich glaube, dass ich das letzte Stück Naivität gegenüber den Menschen verloren habe.

Sie haben die letzten drei Tage vor dem Tod Litvinenkos an seinem Krankenbett verbracht. Was hat er Ihnen gesagt?

Er sagte mir: Das ist der Preis, den ich dafür zahlen muss, dass die Menschen mir glauben, dass ich die Wahrheit über das Regime sage. Dann hat er nach Michail Trepaschkin gefragt [einstiger Agent des FSB, danach Anwalt für Opfer von Terroranschlägen, der derzeit in einem sibirischen Straflager eine mehrjährige Haftstrafe absitzt; Anm. d. Red.]. Wie geht es Mischa? Er hat doch Asthma. Als ich das hörte von jemandem, der mit dem Tode ringt, sind mir die Tränen gekommen.

Die britische Tageszeitung „Observer“ beruft sich auf eine russische Studentin, die Litvinenko angeblich erpresst haben soll. Was halten Sie davon?

Das ist totaler Unsinn. Ich kannte Alexander wirklich gut, er hat viel durchgemacht und dann, als er den Auftrag erhielt, Menschen in Russland zu töten, hat er nein gesagt. Diesen Weg ist er bis zu Ende gegangen. Sicherlich, er war kein Engel, aber er hätte nie ein Mädchen erpresst, das er noch dazu auch gar nicht kannte. Ich würde diese Frau gerne mal fragen: Wer bist du eigentlich, dass du glaubst, so wichtig zu sein? Nein, das Ganze ist ein Gegenangriff, denn Moskau ist betroffen und merkt plötzlich, dass es ernst wird. Also wird man dort alles versuchen, um Litvinenko zu diskreditieren.

Wer könnte hinter dem Giftmord stecken?

Ich denke da an Leute aus Geheimdienstkreisen, die offiziell nicht mehr im aktiven Dienst sind. Das sind pseudopatriotische Typen, deren einziges Ziel es ist, das russische Imperium wiederherzustellen. Dafür gehen sie auch über Leichen. Die ganze Welt ist gegen uns, das sind immer die gleichen Parolen. In einer freien Diskussion mit Demokraten gehen sie unter, sie haben nichts zu bieten. Ihre einzige Waffe ist die Gewalt. In Russland weiß jeder, dass diese Leute gefährlich sind.

Und der russische Präsident Wladimir Putin?

Putin hat den Mord an Litvinenko nicht befohlen, denn politisch macht das keinen Sinn. Doch Putin trägt dafür die Verantwortung, denn diese Tat ist auch ein Ergebnis seiner Propaganda. Jeden Tag bekommen die Menschen diese xenophobe Propaganda, diese Hetztiraden gegen Ausländer vorgesetzt. Der verbale Krieg gegen Georgien ist dafür nur ein Beispiel. Das ist wirklich zum Kotzen. In Russland läuft das unter dem Label „wiedergefundener Patriotismus“. Eine ganze Generation ist schon damit aufgewachsen. Und die schlimmsten Feinde, das sind die Verräter.

Solche wie Litvinenko?

Ja. Doch Alexander ist nicht umsonst gestorben. In England hat es einen richtigen Aufschrei gegeben, das ist ein richtiger Skandal. Und in Russland? Was ist da schon ein bisschen Gift in einem Körper?! Das zeigt doch nur, welche Werte diese Gesellschaft hat, ein Leben zählt hier überhaupt nichts.

Ein Team von Scotland Yard ermittelt jetzt in Russland. Glauben Sie an irgendwelche konkreten Ergebnisse? Mit Michail Trepaschkin beispielsweise dürfen die Ermittler nicht sprechen

Das ist genau das Problem. Ich recherchiere solche Themen seit 2002 und weiß: Die einzige Chance, wirklich etwas zu erfahren, ist, mit Leuten aus dem Kreis Litvinenkos zu sprechen. Das heißt, dass man Trepaschkin unbedingt reden lassen muss.

Trepaschkins Gesundheitszustand hat sich, seit er in Haft ist, massiv verschlechtert. Auch wenn es zynisch klingt: Ist er der nächste auf der Liste?

Trepaschkin ist in großer Gefahr, er ist zur Hauptfigur, zu einem Symbol geworden. Der FSB ist erstaunt über die Energie, mit der der Westen jetzt agiert. In Moskau wissen sie nicht, was sie nun mit Trepaschkin machen sollen, er ist zu berühmt, um ihn sofort umzubringen. Doch er ist ein kranker Mann und sehr verletzlich. In jedem Fall werden sie nach Möglichkeiten suchen, um ihn loszuwerden.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Mord an Litvinenko und der mysteriösen Erkrankung des ehemaligen russische Regierungschefs Jegor Gaidar?

Die Journalistin Anna Politkowskaja und Litvinenko waren wirkliche Feinde des Regimes, richtige Hassfiguren. Vielen, zum Beispiel einigen Generälen in Tschetschenien, wäre es eine Ehre gewesen, die „Tschetschenienschlampe“ Politkowskaja eigenhändig umzubringen. Gaidar jedoch kann man mit diesen beiden nicht in eine Reihe stellen. Im Westen wird er zwar immer als Reformer bezeichnet. Doch er hat den ersten und zweiten Tschetschenienkrieg befürwortet und ist mit dem Regime Kompromisse eingegangen. Nein, solche Pseudokritiker wie Gaidar sind Teil des Systems und haben viel zu verlieren, wenn Putin abtritt. Ihr Horrorszenario wäre so etwas wie die Orangene Revolution in der Ukraine. Es geht um Erhaltung des Status quo. Wie groß die Angst dieser Leute ist, zeigt doch die Tatsache, dass die Erkrankung Gaidars sofort instrumentalisiert wurde.

Was den Mord an Litvinenko betrifft, könnte da der im Londoner Exil lebende Milliardär Boris Beresowski seine Finger im Spiel haben?

Absolut absurd. Obwohl Litvinenko ganz anders war als Beresowski, gab es zwischen beiden eine wahre Freundschaft. Beresowski war auch in den letzten Tagen im Krankenhaus. Als er kam, sagte ich ihm, dass es schlecht um Litvinenko steht. Als Beresowski wieder aus dem Zimmer kam, hat er geweint. Ich bin Regisseur, das war absolut echt, so etwas kann man nicht spielen.

Sie haben einen Dokumentarfilm über die Attentate auf mehrere Wohnhäuser 1999 in Russland gemacht und arbeiten weiter an Themen, die Moskau nicht gerade gefallen dürften. Haben Sie Angst um ihr Leben?

Gründe, Angst zu haben, habe ich genug. Ich habe zu viel geredet, aus einer Wut heraus, aber wenn ich mich nicht frei artikulieren kann, fühle ich mich unvollständig. Beweise habe ich auch nicht, aber alle diese Vorfälle müssen untersucht werden. Und wenn das unterbunden wird, muss man dagegen kämpfen. Nein, vielleicht bin ich ein Selbstmörder, aber ich kann diese Leute in Moskau einfach nicht mehr ertragen.