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Archiv-Artikel

Eine Kultur des Recyclings wird recycelt

CONGOTRONICS Die Band Konono No. 1 aus Kinshasa spielt traditionelle Bazombo-Musik, die sie auf unkonventionelle Weise elektronisch verstärkt. Damit wurde sie international berühmt. Jetzt haben sich westliche Indie-Rocker und Elektronikfrickler an die Originale gewagt

Aus dem Draht von Autolichtmaschinen werden Mikrofonspulen gewickelt

VON FRANZ X. A. ZIPPERER

Marc Hollander ist Chef des umtriebigen Brüsseler Labels Crammed Discs. Mit der Veröffentlichung der „Congotronics“-Serie hat er gemeinsam mit Vincent Kenis, seinem ehemaligen musikalischen Partner bei der Band Aksak Maboul, für Furore gesorgt. Sowohl die internationale Presse als auch die versammelte Independent-, Avantgarde- und Elektronik-Musikszene schlugen bei Erscheinen der Platten Freudenpurzelbäume.

Künstler wie Beck, Wilco, Animal Collective, Björk oder Thom Yorke postulierten unmittelbar eine kreative Geistesverwandtschaft mit den afrikanischen Künstlern aus der Demokratischen Republik Kongo. Die rhythmisch hoch aufregenden Texturen und repetitiven Arrangements basieren auf traditioneller, ritueller Bazombo-Musik, wie sie im Gebiet nahe der angolanischen Grenze erklingt.

In erster Linie ist es Formationen wie dem Orchestre Tout Puissant Likembe Konono No. 1 zu verdanken, dass diese Musik den Weg in die Großstadt, nach Kinshasa, fand. Dort stellt der Bandgründer Mawangu Mingiedi die rauen, hypnotisch-monotonen Gesänge und die unerbittlich hämmernden, tranceartigen Töne des Daumenklaviers Likembe unter Strom. Er braucht den Strom, um dem wilden Großstadtlärm mit der akustischen Musik aus dem dörflichen Umfeld durch brachiale Verstärkung Paroli bieten zu können.

Aus Mangel an Möglichkeiten geschieht dies mit ungewöhnlichen Mitteln. Aus dem Draht von Autolichtmaschinen werden Mikrofonspulen gewickelt. Aus Blattfedern werden Perkussionsteile. Und aus Topfdeckeln Becken. Das wird durch die metallenen, trichterförmigen Riesenmegafone geschickt, die die belgische Kolonialmacht einfach stehen ließ.

Als diese sirrenden, fiependen, brummenden und wummernden Recycling-Klangfarben 2004 in Europa und Amerika auf den Markt kamen, wurden sie von den genannten Künstlern zum Missing Link zwischen Rock, Punk und Techno hochstilisiert.

Remixen ist nicht adäquat

Was dabei völlig in Vergessenheit geriet, ist die Tatsache, dass Mawangu Mingiedi und Konono No. 1 schon Ende der 60er Jahre in den Straßenschluchten von Kinshasa zu hören waren. Bereits 1987 veröffentlichte das französische Label Ocora ein Mixtape unter dem Titel „Zaïre: Musiques Urbaines à Kinshasa“. Auch diese Aufnahmen stammten bereits aus dem Jahr 1978. Der inzwischen fast 80-jährige Mawangu Mingiedi nannte seine Musik damals auch nicht „Congotronics“, sondern „Tradi-Modern“. Kaum ein europäischer Gehörgang interessierte sich dafür. Zur falschen Zeit am falschen Ohr.

Bei diesem massiven Aufhorchen der westlichen Welt in den Jahren nach 2004 ist es kein Wunder, dass sich bei Marc Hollander sofort Künstler ohne Ende meldeten, die anboten, durch Coverversionen oder Remixe zu antworten. „Das erschien mir jedoch nicht adäquat“, wies er zunächst alle Anfragen zurück, „der klassische Remix-Vorgang, also nicht viel mehr als eine Neuabmischung, sowie das schlichte Nachspielen sind der kongolesischen Musik deshalb nicht angemessen, weil sie die historische und spirituelle Dimension dieser Klänge nicht reflektieren können. Diese Klänge dürfen nicht einfach imitiert oder im schlechtesten Fall sogar der Karikatur preisgegeben werden.“

Doch ließ ihn die Frage nicht ruhen, wie man sich dem Material wohl respektvoll nähern könnte. Marc Hollander griff auf seine eigene Uraltformation Aksak Maboul und damit auch auf Vincent Kenis zurück. „Neukomposition war der Schlüssel zur Auseinandersetzung mit den ,Congotronics‘-Klängen“, verrät er, „auf der Basis der Originalstimme und eines Balafon-Schnipsels des Stückes ,Land Dispute‘ der Band Kasai Allstars, der zweiten wegweisenden Truppe aus Kinshasa, ließen wir die daraus sprudelnde Inspiration in das Spiel der akustischen Gitarre und einer alten Farfisa-Orgel einfließen und erschufen so etwas Neues. Und stellten so unsere Rockers-Fassung der Tradi-Modern-Version gegenüber.“

In ähnlicher Weise näherten sich 25 weitere Künstler den Originalkompositionen, so die amerikanischen Deerhoof, die für ihre schrägen Musikstrukturen bekannt sind, die Experimentalmusiker Skeletons, der in Berlin ansässige britische Dubmeister Shackleton, der deutsche Elektronikfrickler Burnt Friedman oder das psychedelisch-experimentelle Animal Collective. Die große Spannung der Bearbeitungen liegt darin, dass keiner der Beteiligten versucht, die Unterschiede zwischen dem westlichen und dem afrikanischen Ohr zu verwischen.

So bestätigt die Doppel-CD „Tradi-Mods vs. Rockers“ eindrucksvoll, was ein Musiker der Kasai Allstars zu Protokoll gab: „Es existiert nach wie vor und vor allem zwangsläufig eine große Kluft zwischen den Hörmöglichkeiten der Westler und denen unserer afrikanischen Brüder und Schwestern. Wir versprühen mit unserer Musik Freude und Fröhlichkeit, aber auch die Geister unserer Ahnen sprechen darin zu uns und führen uns mit ihnen und unseren Völkern zusammen. Dem Rest der Welt bleiben nur die Freude und die Fröhlichkeit. Und damit fehlt ihnen mehr als nur eine Kleinigkeit.“

■ Various Artists: „Tradi-Mods vs. Rockers: Alternative Takes on Congotronics“ (Crammed Discs/Indigo)