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Archiv-Artikel

„Ganz simpel“

Vor 25 Jahren erschien mit „E2-E4“ von Manuel Göttsching ein Meilenstein in der Entwicklung der elektronischen Tanzmusik. Morgen wird er es in Berlin erstmals live aufführen. Ein Gespräch über Wiederholungen in der Musik, Hit-Überraschungen und Selbstfindung im Berlin der Siebzigerjahre

INTERVIEW TILMAN BAUMGÄRTEL

taz: Herr Göttsching, Ihre ganze Karriere über haben Sie sich mit Repetition beschäftigt. Von Ihrer Zeit als Gitarrist der Krautrockgruppe Ash Ra Tempel bis zu Ihren Soloprojekten. Was bedeuten Wiederholungen in der Musik für Sie?

Manuel Göttsching: Für mich wird ein musikalisches Element immer erst ein Thema, wenn ich etwas ein paarmal höre. Und wenn ich es ein paarmal höre, will ich etwas daran ändern. Das Prinzip der Wiederholung gab es in der Musik natürlich lange, bevor ich es angewandt habe. Schon in der einfachen Notation gibt es das Wiederholungszeichen, das sind diese beiden Punkte. Oder die Anweisung da capo al fine, wiederholen von vorne bis zum Ende. Das geht bis zur Schwingung, die sich wiederholt. Eine einzelne Schwingung wäre nicht hörbar, erst wenn sie sich wiederholt, wird die Schwingung zur Frequenz und damit hörbar. Für mich wird ein musikalisches Thema erst durch Wiederholung zu Musik, und dann suche ich nach der Variation in der Wiederholung.

Viele Musiker, die in den 70er-Jahren mit solchen Wiederholungen arbeiteten, waren dabei von der Technologie beeinflusst, besonders durch Experimente mit Tonbandschleifen und durch die ersten Sequenzer, die Synthesizermelodien automatisch wiederholten. Wie war das bei Ash Ra Tempel?

Bandloops kenne ich natürlich in allen Variationen. Bei Ash Ra Tempel hatten wir für unsere frühen Experimente ein Echogerät der Firma Dynacord, in dem eine Tonbandschleife lief. Das hatte verschiebbare Tonköpfe, und es gab interessante Effekte, wenn man damit rumgespielt hat, während das lief. Und wir hatten ein Echogerät von Watkins Electric Music, das hieß Copycat. Das war ein legendäres Gerät, das auch Pink Floyd benutzten. Bei diesen Bandschleifen war irgendwann die Schnittstelle hinüber, an der die Tonbandschleife zusammengeklebt war. An diesen Stellen gab es dann immer so ein „Blubbs“-Geräusch, und dadurch entstand ein Rhythmus. Das haben wir teilweise bei Live-Auftritten als eine Art Metronom benutzt. Beim Spielen, bei der Improvisation fing man unbewusst an, sich danach zu richten.

Waren diese Effektgeräte das erste Mal, dass Sie mit Tonbandschleifen in Berührung gekommen sind?

Wir haben uns 1968/69 in einem Studio in der Pfalzburger Straße getroffen. Das war damals in Berlin ein ziemlich legendäres Örtchen: ein Studio in einer Musikschule, vom Senat finanziert, unter der Leitung des Schweizer Avantgarde-Komponisten Thomas Kessler. Der arbeitete schon mit Tonband-Loops und war ein Einfluss auf das, was später als die „Berliner Schule“ bekannt wurde: Agitation Free, Tangerine Dream und wir. Das waren die Bands, die damals in diesem Studio probten. Wir haben einfach drauflos gespielt, ohne fertige Komposition und ohne Konzept. Thomas Kessler hielt sich sehr zurück. Der saß ganz still in seinem Raum und machte seine Tonband-Experimente. Aber wenn man nicht weiter wusste, dann konnte man ihn immer fragen. Als das anfing, war ich sechzehn Jahre alt.

Der Sequenzer spielte dabei noch keine Rolle?

Der Sequenzer kam erst später. Die Zeit, von der ich rede, das war so 1968, 1969. Man sollte das Ganze vielleicht eher von der Musik her betrachten als von der Technik. Wir haben damals mit relativ simplen Mitteln gearbeitet und auch nicht intellektuell und mit einem Bauplan im Studio produziert. Unsere Musik ist von Anfang improvisiert gewesen, also sehr aus dem Bauch heraus entstanden. Unsere Stücke waren immer lang, manchmal 45 Minuten, manchmal drei Stunden. Was mich zu dieser Zeit musikalisch beeindruckt hat, war das Ausbrechen aus diesem Schema von Dreiminutentiteln, die damals in der Popmusik üblich waren. Wir haben ja nie eine Single gemacht, sondern gleich eine Langspiel-Platte. Wir spielten zwar am Anfang auch die Hits aus der Zeit nach, aber das wurde uns schnell langweilig. Diese längeren Sessions, die Wiederholungen, das musste einfach passieren.

War das der Zeitgeist?

In den 60er-Jahren war die Single das Medium für Popmusik. Und darum mussten die Stücke kurz sein. Ende der 60er-Jahre ging das langsam zu Langspielplatten über. Und daraus ergeben sich eben auch diese Wiederholungen, weil man mehr Zeit zur Verfügung hat. Man kann zwar auch ganz verschiedene Sachen aneinanderfügen, aber das mag ich persönlich überhaupt nicht. Meist klingt das nur aneinandergeschnipselt. Und dann ergibt sich diese Methode des Loops oder der Schleife oder – ganz allgemein gesagt – der Wiederholung ganz von selbst. Man verschiebt das Thema in eine andere Tonart, dreht die Töne um, tauscht Moll und Dur aus, spielt langsamer und schneller und so weiter.

Neue Musiktechnologien wie Sequenzer und Tonbandschleifen haben also beim Entstehen Ihres Stils keine Rolle gespielt?

Doch, aber erst später. Zunächst habe ich die Wiederholungen mit der Hand gespielt. Handmade. Es ist doch so: Auf der einen Seite sind die Ideen da. Auf der anderen Seite wird das, was technisch möglich ist, natürlich auch ausprobiert. Und dadurch, dass man etwas aufnehmen und wieder anhören kann, verändert sich eben auch die Musik. Das war die Entwicklung im 20. Jahrhundert: dass es möglich war, Musik aufzunehmen und wieder zu überarbeiten und damit zu experimentieren. Die Ingenieure denken sich etwas aus. Das probieren die Musiker aus. Dann kommen sie mit neuen Forderungen an die Technik und so weiter. So hat sich das immer weiter hochgeschaukelt. Und inzwischen kann man mit einem Sequenzer oder Computer den ganzen Abend allein Programm machen, wenn man darauf steht.

Was haben Sie damals bevorzugt?

Ash Ra Tempel haben Anfang 1970 mit einer ganz normalen Band-Besetzung angefangen: Gitarre, Bass, Schlagzeug. Unsere Musik entstand aus dem Spielen. Und aus dem Echoeffekt, nicht zu vergessen (lacht). Die erste Phase war komplett improvisiert. Vor dem Konzert standen wir hinter der Bühne und haben ausgelost, wer anfangen musste. Das Publikum mochte das. Wir hatten keine große Werbung, das sprach sich so rum. Die eigentliche Musik war bei unseren ersten Konzerten vielleicht gar nicht so wichtig. Da waren viele Leute, und irgendwas passierte, deswegen ging man da hin.

Wo sind Sie denn zu dieser Zeit in Berlin aufgetreten?

Wir sind oft im Quartier Latin in der Potsdamer Straße aufgetreten, da ist heute der Berliner Wintergarten drin. Dann gab es noch die TU Mensa, da sind viele der damals bekannten Bands aufgetreten. Wir haben auch in der Akademie der Künste gespielt. Im Vergleich zu heute gab es aber einfach viel weniger geeignete Orte für diese Musik. Wir haben darum am Anfang auch in den ganzen Jugendclubs gespielt oder bei Galerie-Eröffnungen.

Die Wiederholungen bei Ash Ra Tempel wurden also noch ausschließlich mit der Hand gespielt …

Ja. Auch auf meiner ersten Solo-Schallplatte „Inventions for Electric Guitar“, die ich 1974 produzierte, habe ich alles noch mit der Hand gemacht. Ich habe keine Tape-Loops gebastelt, ich habe sie praktisch imitiert. Damals gab es die ersten Sequenzer für Synthesizer, zum Beispiel für diesen riesigen ersten Moog. Diese Kisten waren so groß, dass man im Grunde nur im Studio experimentelle Musik mit ihnen machen konnte. Klaus Schulze nahm sie allerdings mit auf die Bühne, das war eine Attraktion. Ich wollte diese Art von Musikmachen übernehmen, die mit dem Sequenzer möglich geworden war. Aber ich wollte so was nicht mit dem Synthesizer spielen, sondern auf der Gitarre. Oder, genauer gesagt, auf mehreren Gitarren. Ich hatte dieses Vierspur-Tonbandgerät, mit dem ich mehrere Gitarrenspuren aufnehmen konnte. Und ich habe diese ganzen Gitarrenphrasen nicht per Tape-Loop gemacht, sondern ich habe sie tatsächlich gespielt. Ich habe mich hingesetzt, eine große Uhr vor mir aufgestellt, und zwanzig Minuten lang immer die gleiche Figur auf der Gitarre gespielt. Das hört sich natürlich interessanter an als ein Tonband-Loop, weil es halt doch immer ein bisschen anders ist. Man kann gar nicht anders, als zu variieren. Das Tempo schwankt ein bisschen, der eine Ton ist ein bisschen lauter als der andere.

Ist es nicht langweilig, immer wieder dasselbe zu spielen?

Nein, es kann sehr meditativ und sehr beruhigend sein. Aber wenn es mal einen Aussetzer gibt, kann es auch sehr nervig sein. Ich habe damals zu Hause und ohne große Studiotechnik aufgenommen, und ab und zu knackste der Kühlschrank, wenn er sich an- oder ausschaltete. Das war natürlich sehr ärgerlich, wenn ich gerade bei Minute 15 war und dachte: „Na, noch 5 Minuten“, und dann machte es klick! Dann musste ich wieder von vorne anfangen. Schließlich habe ich den Kühlschrank einfach ausgestöpselt, was zur Folge hatte, dass meine Freundin sagte: „Ich halte das hier nicht mehr aus. Ich komme erst wieder, wenn du fertig bist“, und auf Reisen ging.

Wie lange hat das gedauert?

Na, so über den Sommer 1974, das müssen drei Monate gewesen sein. Nicht jeden Tag, das kann man gar nicht. Aber das ist eine ganz gute Fingerübung für einen Gitarristen. Ich habe klassische Gitarre gelernt, und da muss man viel üben. Ich bereue es nicht. In den 70er-Jahren gab es auch das Ideal, dass man als Musiker wie eine Maschine spielen konnte. Da war zum Beispiel die berühmte Band von James Brown. Die konnte zehn, zwanzig Minuten dasselbe spielen, ohne dass einer aus dem Takt kam – wirklich wie eine Maschine. Die Schwarzen konnten das schon immer besser. Auch in den 70er-Jahren, bei diesen Funk-Bands war alles mit der Hand gespielt. Aber die waren mit dem Punkt auf der Eins.

Ist das nicht eine Form der Selbstmaschinisierung, die eigentlich schrecklich ist?

Heute ist es eigentlich wichtiger, dass man hört, dass es gespielt ist und dass es nicht immer gleich klingt. Damals gab es diese Technologie noch nicht, die heute zur Verfügung steht, und darum hat man versucht, das vorwegzunehmen, indem man selbst wie eine Maschine gespielt hat.

Kannten Sie die amerikanische Minimal Music der 60er- und 70er-Jahre?

Ich bin mit Steve Reich, Terry Riley, Phil Glass und anderen bekannten Vertretern bewusst in Berührung gekommen bei einem Festival in Berlin, das Metamusik hieß. Das war 1974 und 1976. Da spielten Reich und Riley. Das war interessant, aber auch anders als meine Musik, viel durchstrukturierter und komponierter. Das geht auch nicht anders bei größeren Orchestern – obwohl Steve Reich auch viel auf Zeichen hin gemacht hat. Ich war ja mehr von der Improvisation zu solchen minimalen Wiederholungen gekommen. Minimal Music hatte ich aber vorher schon gehört, aber nicht unter diesem Begriff. Das ist witzig, wenn man selbst so was macht und denkt, man hat das erfunden, und plötzlich findet man heraus, es gibt noch ein paar andere, die so arbeiten. So geht es heute auch den ganzen Kids, die Techno machen und plötzlich uns Alte entdecken.

Ihre Produktionen haben sich dann verändert?

Bei „New Age of Earth“ (1976) habe ich noch alles selbst gespielt. Diesmal waren es nur keine Gitarrenseiten, sondern Tasten. Das ist auch eine Konzentrationsübung. Später habe ich mir von der amerikanischen Firma Arp zwei Sequenzer gekauft, die ich mit den Synthesizern Mini-Moog und Odyssee verbunden habe. Das ist auf „Correlations“ (1979) und ein Jahr später auf „Belle Alliance“ zu hören.

Und live?

Nach „New Age of Earth“ habe ich eine Solo-Tournee gemacht. Das war in Frankreich, und ich habe allein mit meinem Instrumentarium experimentiert. Das war damals so ein Trend, sich allein mit seinen elektronischen Instrumenten auf die Bühne zu setzten, Klaus Schulze hat das gemacht. Bei solchen Konzerten war schon relativ viel vorprogrammiert, auch wenn das alles noch nicht mit dem Computer gemacht wurde. Aber es ist schon relativ unflexibel, und auch ein bisschen lächerlich, wenn man zwischen tausend Kisten herumhampelt. Ein Orchester kann man nicht ersetzen – die Lebendigkeit, die zehn Musiker haben. Man kann sich 20 Keyboards hinstellen, es ist letztlich doch ein solistischer Vortrag. Klar, wenn man die Geräte einschaltet, das kann auch inspirieren. Aber auf der Bühne macht es mehr Spaß, wenn man nicht alleine spielt. Ich habe ein paarmal Modenschauen begleitet, da steht man nicht so allein auf der Bühne. Trotzdem habe ich da alleine 80 Minuten gespielt, und ich hatte die Sequenzer und alles, was ich hatte, zusammengestöpselt.

Auch „E2-E4“ haben Sie komplett alleine eingespielt?

Diesen Aufbau von den Modenschauen habe ich in meinem Studio übernommen und dort regelmäßig nächtelang gespielt und auch viel aufgenommen. So entstand an einem Nachmittag im Dezember 1981 „E2-E4“ – ohne Gedanken an eine Veröffentlichung. Die Aufnahme war technisch in Ordnung, es knackte nichts. Das ganze Stück ist live aufgenommen worden, ohne Overdubs, nur mit Mischpult, Keyboards, den Arp-Sequencer und einer alten Drum-Machine. Alles noch Geräte aus der Analog-Generation, die man einfach so an- und ausschalten konnte. Ganz simpel. Die erste Hälfte ist komplett elektronisch, nach einer halben Stunde kommt meine Gitarre dazu.

Wie kam es zur Veröffentlichung von „E2-E4“?

Die Aufnahme blieb erst mal eine Zeit lang liegen, denn ich hatte damals keine Plattenfirma. Ich wollte das nicht mehr bei Virgin rausbringen. Die fingen damals mit Synthie-Pop an und waren nur noch auf die Charts fixiert. Und das war nun ein Stück, das sechzig Minuten lang war und zwei Akkorde hatte. Aus alter Freundschaft hätten sie’s wahrscheinlich genommen, aber es wäre nur in irgendwelchen Regalen verstaubt. Ich habe es zunächst auf einem Label von Klaus Schulze veröffentlicht, und es hat sich am Anfang nicht gerade sensationell verkauft. Dass sich dafür DJs interessiert haben, hat sich erst so peu à peu entwickelt, und ich habe das erst über drei Ecken mitbekommen. Heute spielen es aber auch moderne Ensembles.

Der Titel der Platte ist ein Eröffnungszug beim Schachspiel?

Ja. Ich habe früher viel Schach gespielt. Dazu komme ich auch nicht mehr, weil es immer so ewig dauert. Dann gab es den Film „Star Wars“ mit diesem kleinen Roboter R2D2. Aber eigentlich ist E2-E4 ein Standarderöffnungszug, ein Anfang, wenn man gar nicht weiß, was man machen soll. Für mich war es das auch. Ich dachte mir: Ich bring halt mal ein 60-Minuten-Stück raus. Ich habe nie gegrübelt, ob das richtungsweisend ist oder ob das die Musik der nächsten 20 Jahre sein könnte. Ich freue mich natürlich, wenn es Jahre später immer noch Wirkung hat.

Richtig bekannt geworden ist „E2-E4“, weil es 1989 für den Sommerhit „Sueño Latino“ gesampelt worden ist …

Durch den New Yorker DJ Larry Levan war das Stück schon in den USA bekannt. Dann kamen die Italiener auf mich zu, die „Sueño Latino“ produziert haben. Das war ganz skurril. Da rief mich eine Frau vom Gerig Verlag in Köln an, und sagte: „Von ihrem Stück ‚E2-E4‘ gibt es eine Coverversion aus Italien.“ Ich sage: „Aber das Stück ist sechzig Minuten lang.“ Und sie: „Ja, ja, und es ist auf Italienisch.“ – „Aber das Stück hat gar keinen Text.“ – „Ja, ja, das machen die schon.“ Ich habe gesagt, ich würde mir das gerne erst mal anhören, bevor ich mein Okay dazu gebe. Und Giovanni Natale vom Label Expanded Music stand dann tatsächlich ein paar Tage später bei mir in Berlin vor der Tür.

Haben Sie diese Version als eine Vulgarisierung des Stücks empfunden?

Na ja, das ist schon eine merkwürdige Version. Aber es heißt halt „Sueño Latino“ und nicht „E2-E4“, und es ist nicht unter meinem Namen erschienen, nur die Gema wusste das (lacht). Und es war ja auch ein großer Hit, Nummer 1 in Deutschland, in England und Italien.

Wie war das denn, auf einmal einen Clubhit zu haben?

Die Produzenten von Expanded Music haben mich zu sich nach Bologna eingeladen, um einen Remix mit Gitarre zu machen. Da habe ich es aus dem Friseursalon dröhnen gehört. In Rimini, überall. Ich gehe nicht so häufig in Clubs, deswegen hatte ich das nicht so mitbekommen. Auch von den anderen Versionen habe ich immer nur auf Umwegen gehört. Die Italiener passen aber auf. Der Chef von der Firma ist schon etwas älter und schon länger in der Branche. Der kennt sich aus, denn Probleme mit Coverversionen gibt es in der Musik ja schon länger. Als die „Sueño Latino“ gemacht haben, haben wir sehr lange zusammengesessen. Damals wusste ja noch niemand, wie das rechtlich mit dem Sampling aussieht und wie man da einen Vertrag macht. Der wollte das gründlich und korrekt machen. Denn er glaubte, dass „Sueño Latino“ ein großer Hit werden könnte, was ja dann auch so war. Der hat mir auch sehr geholfen, bei einigen Sachen einzuschreiten, wenn Leute das benutzt haben. Viele haben das einfach so gemacht, und ich habe erst später davon erfahren.

Betrachten Sie sich denn wegen „E2-E4“ heute als einen Wegbereiter der modernen Tanzmusik, wie es viele DJs und Kritiker tun?

Nein. Eigentlich denke ich überhaupt nicht oft an diese Platte. Und „E2-E4“ war ja auch nicht als Tanzmusik gedacht. Darum war ich auch vollkommen überrascht, als mir jemand aus New York einen Ausschnitt aus der Zeitschrift Details schickte, wo die Favorites der verschiedenen DJs von New York standen. Und bei der Danceteria stand da: „E2-E4“. Da war ich schon ganz überrascht, und habe mir gedacht: „Ich muss echt mal gucken, wie die dazu tanzen.“ Dann gab es noch diesen Club Paradise Garage, wo Larry Levan das Stück regelmäßig gespielt hat. Der hat sich gewünscht, dass das auf seiner Beerdigung gespielt wird. Haben sie auch tatsächlich beim Gottesdienst in der St. Peter Church in Manhattan gemacht.

Warum, glauben Sie, ist „E2-E4“ so oft bearbeitet und gecovert worden?

In dem Stück passiert oberflächlich gesehen relativ wenig. Es sind zwei Akkorde und viele Varianten darüber, mehr nicht. Das hat viele inspiriert, etwas dazu zu machen, weil das Stück so viel Freiraum bietet. Es gibt ja den berühmten Spruch, dass in der Musik die Pausen am wichtigsten sind. Man muss Lücken lassen, wo der Zuhörer eine eigene Vorstellung entwickeln kann. Gerade solche minimalistischen Stücke regen dazu an, alles Mögliche daraus zu machen.

Hat diese Art von Reduktion auch mit einer veränderten Vorstellung von der Rolle des Künstlers, des Komponisten zu tun?

Reduktion war schon immer ein Grundprinzip, auch bei Ash Ra Tempel. Wenn man zu viel sagen will, kommt nichts richtig zum Ausdruck. Es ist wichtig, etwas wegzulassen und mit ganz wenigen Tönen etwas auszusagen. Ich kann damit nichts anfangen, wenn Musik so überladen ist. Mir fehlt schnell die klare Linie. Ich versuche, alle Stücke auf eine Idee zu reduzieren, die ausgearbeitet wird. Mir macht es mehr Spaß, eine kleine Idee zu nehmen und die von allen Seiten zu beleuchten, als viele Sachen zusammenzupacken. Bei „E2-E4“ wiederholt sich eigentlich ganz wenig vollkommen monoton, da sind ganz viele, kleine Variationen drin. Ich habe die ganze Zeit an den Geräten rumgespielt. Es entwickelt sich ununterbrochen weiter, aber das bekommt man nur mit, wenn man die Sensoren dafür hat und genau hinhört. Wenn man irgendwo zehn Minuten rausschneiden würde, würde man merken, dass das plötzlich ganz anders klingt.

Glauben Sie, dass der Hörer bei Ihrer Musik wissen muss, wie sie entstanden ist, um sie wirklich genießen zu können?

Ich freue mich, wenn sich jemand dafür interessiert, aber ich verlange es nicht. Meine Musik kann man hören, ohne dass man sich erst mal ein Konzept durchliest. Man braucht keine Bedienungsanleitung. Ich bemühe mich immer, Musik mit einfachen, klaren Linien zu machen, die man auch hören kann, wenn man sich nicht dafür interessiert, wie sie entstanden ist. Sie hat zwar einen Anspruch, aber man kann sie auch einfach nur hören.