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Archiv-Artikel

Filmische Heimatforschung

WILHELMSBURG-FILME Aufmerksamkeit für die, die im Hintergrund bleiben: Vier im Rahmen eines Seminars entstandene Filme geben Einblicke in das Leben der Elbinsel-Bewohner

Dass so viel Harmonie auch jede Menge Arbeit macht, zeigt „Frau Anke“

VON ROBERT MATTHIES

„Heimatforschung“ hat die Internationale Bauausstellung (IBA) in Wilhelmsburg für ihr Modellprojekt „Weltquartier“ im südlichen Reiherstiegviertel betrieben. Sechs mehrsprachige Forscher haben rund 200 Haushalte gefragt, was für sie Heimat bedeutet: „ein neues, dialogorientiertes Verfahren zur Beteiligung der internationalen Bewohnerschaft“ an den Planungen. Anschließend wurden auch noch die Kinder befragt. Herausgekommen ist dabei im September schon mal ein neuer Weimarer Platz: mit Klettergerüst in Form einer Weltkugel, Boule-Bahn und farbigen Intarsien-Betonplatten in Form von Strick- und Häkelmustern.

Ungern hört man da lautstarke Beschwerden über das rüde Benehmen der Saga/GWG im Planungsprozess, steigende Mieten und Vertreibungen von ehemaligen Mietern aus dem „Modellprojekt für interkulturelles Wohnen“; den Vorwurf, dass der weltstädtische „Sprung über die Elbe“ eine keineswegs nachhaltige Inszenierung bleibe und über die Köpfe, Geldbeutel und Lebensrealitäten der Bewohner des flächenmäßig größten Hamburger Stadtteils hinwegspringe.

Heimatforschung haben auch Studierende der Uni Hamburg im Rahmen des Seminars „Dokumentarfilmpraxis“ am Institut für Medien und Kommunikation im letzten Jahr auf der Elbinsel betrieben. An großen Ideen haben sie sich nicht orientiert. Stattdessen wurden sie ermutigt, sich ganz auf das scheinbar Alltägliche einzulassen. Damit gelingen ihnen ebenso facettenreiche wie authentische Einblicke in das tatsächliche Leben der Elbinselbewohner – ohne jegliche Inszenierung. Ihre Filme sind morgen im Abaton zu sehen.

Um die Wünsche der WilhelmsburgerInnen geht es dabei auch. Agim und Hares etwa erzählen in „21109 Hamburg“ von ihren Schwierigkeiten, die Vorurteile abzustreifen, die damit verbunden sind, in einem Stadtteil zu leben, der derart übel beleumundet ist: „Nur weil ich aus Wilhelmsburg komme und schwarze Haare habe und einfach ’nen Bart habe, so, bin ich nicht gleich ein krimineller Asozialer!“ Auch in „Türkisch Curry“ geht es um Vorurteile. Nicht nur als „Türke aus Wilhelmsburg“ ist der 23-jährige Koray „Curry“ Kevioglu immer schon etikettiert. Auch mit seiner Familie muss sich der Köfte-Grillmeister, Moscheegänger, angehende Immobilienmakler und leidenschaftliche Saz-Musiker auseinandersetzten: für die sind die Zukunftsträume des Sohnes ein großes Problem.

Dass der ohnehin „bunte“ Stadtteil noch farbenfroher und eine schöne Heimat sein kann, zeigt der Kurzfilm „48h Wilhelmsburg“ über das gleichnamige Musikfestival, bei dem MusikerInnen von der Elbinsel drei Tage lang vom Balkon über die Fähre bis zum Afro-Shop ganz Wilhelmsburg mit Soul, Blockflöten- oder türkischer Hochzeitsmusik beschallt haben. Dass so viel Harmonie indes auch jede Menge Arbeit macht, zeigt schließlich „Frau Anke“ über die Vorsitzende des Kleingartenvereins Rotehaus. Die kommt mitunter ganz schön ins Schwitzen, wenn sie ihre multikulturelle Kolonie und dann auch noch die eigene Familie organisiert. Mut und Humor verliert die Wilhelmsburgerin dabei nie. Dafür gab es für sie und die FilmemacherInnen Miguel Brusch, Genaro Frangioudakis, Johannes Noldt, Galina Ponomareva und Louise Schmidt beim Festival „abgedreht“ im Dezember dann auch den Publikumspreis.

■ So, 9. 1., 11 Uhr, Abaton-Kino, Allende-Platz 3