: Warten auf Vater
GESCHENK Muss es ein Musterexemplar an Ball sein, um diesen beherrschen zu lernen? Oder geht’s auch anders?
■ geboren 1973 in Galvão im Bundesstaat Santa Catarina. Journalist, Schriftsteller, Herausgeber und Gründer der Zeitschrift Rascunho, einer der wichtigsten Publikationen über Literatur in Brasilien.
■ Seit 2011 leitet er die Staatsbibliothek von Paraná. Im Oktober erscheint sein erster Roman „Na escuridão, amanhã“ (Morgen, in der Dunkelheit).
■ Pereira ist Mitglied der brasilianischen Autorennationalmannschaft „FC Pindorama“.
VON ROGÉRIO PEREIRA
Nie habe ich meinen Vater mehr gehasst. Ich wartete auf ihn vor dem Haus. Er kam den Kiesweg herunter. Wir waren erst vor Kurzem vom Land gekommen. Jetzt bearbeiteten wir einen Boden aus Beton und Asphalt, die Gesellschaft gemächlicher Rinder hatten wir eingetauscht gegen die ungesunde Gefräßigkeit von Autos und Bussen.
Nach und nach würden wir uns schon an die Geräusche des neuen Lebens gewöhnen. Hinter dem Holzhaus hatten wir unser Stadion errichtet – ein schäbiges Maracanã zwischen Zedern und einem schüchternen Graben. Unser Tornetz, der Maschendraht eines Hühnerstalls, in dessen Tiefen fette Ratten hausten. Und Bauelemente für Gewächshäuser der Gärtnerei, in der wir aus Freundlichkeit untergekommen waren. Wir waren Flüchtlinge in einer Welt, die uns Angst machte. Vater trug das Paket. Und kam auf mich zu. Ich wartete auf ihn. Spannung pulsierte in meinen Halswirbeln. Ein Knoten, der kurz davor steht, sich im Schrei eines Urtiers zu entladen.
Er ging langsam, als wolle er die Zeit einfrieren, den Moment anhalten, in dem er seinem Sohn das Brot überreicht, das den Hunger, der seine schmalen Rippen peinigt, nie wird stillen können. Nie habe ich dich mehr gehasst, Vater, als an diesem endlosen Nachmittag. Mutter kümmerte sich nebenan um Azaleen und Farne. Ich hatte es meinen Freunden schon angekündigt. Mein Warten war auch ihr Warten.
Wir waren wie eine Herde von Gnus am Ufer eines ausgetrockneten Flusses, nur ohne Krokodile. Wir würden losrennen in unser Fantasiestadion. Zu kleinen Göttern werden, fähig zu unerhörten Wundern. Mein Vater musste mir nur seine großen, schwieligen Hände entgegenstrecken, gezeichnet von den Spuren einer archaischen, ungeliebten Landwirtschaft. Er streckte mir seine Hände entgegen. In ihnen lag ein Paket. Der Verschnitt eines Weihnachtsmanns, dessen Kostüm seine arme Gestalt lächerlich wirken lässt.
Nimm, Sohn. Ich nahm es mit all der Kraft meiner neun Jahre. David und Goliath tauschten Zärtlichkeiten und Höflichkeiten aus. Ich riss das grünliche Papier auf wie ein Ausgehungerter das Kleid seiner Geliebten. Um mich herum fiebernde Augenpaare. Endlich würden wir den geliehenen Plastikball nicht mehr brauchen. Würden unseren eigenen Ball haben: groß, weiß und aus Leder.
Aus dem zerknüllten Papier die Enttäuschung. Ein kleiner Ball, dunkel, aus Gummi, stach Dornen in meine Hand. Gefällt er dir, Junge? Vaters Frage verlor sich in der Stille, die nicht zu durchbrechen war. Schweigend und resigniert trollten wir uns in Richtung Stadion. Endlich würden wir den geliehenen Plastikball nicht mehr brauchen. Ich trug das Hassobjekt unter dem Arm. Doch der hässliche, kleine Ball – elendes Gummi – verwandelte sich bald. Wir erfanden den perfekten Ball.
Unser Schweigen verwandelte sich in Tumult. Die lärmenden Gnus tranken am reißenden Fluss. Krokodile machten uns keine Angst. Wir dachten uns Finten aus für den Ball, der unendlich hüpfte. Unsere Füße hatten Mühe, ihn zu beherrschen. Nach und nach brachten wir ihn in unsere Gewalt. Wir dribbelten und schossen ihn unser Leben entlang. Den Vater zu hassen tut weniger weh, wenn man froh ist.
■ Übersetzung aus dem Portugiesischen: Michael Kegler