: Der Couchtisch der Profis
AUS DUISBURG ROLAND LEROI
Es gibt Tage, an denen Klemen Lavric (25) seinen Sturmpartner Mohamadou Idrissou (26) sogar am Müllcontainer trifft. Das ist praktisch. Schließlich kann man da im Kellergeschoss, wo einen keiner stört, direkt ein paar Doppelpässe üben. Weil gerade kein Ball aufzutreiben ist, geht‘s auch anders. Denn ein leerer Joghurtbecher lässt sich in den Mülltüten immer finden. „Den versenk ich auch noch“, grinst Idrissou und kickt den Plastikbehälter in die Tonne.
Laut, sehr laut schallen die Jubelstürme des Duos, das für den Bundesliga-Zweitligisten MSV Duisburg spielt, durchs Treppenhaus. Kein Nachbar fühlt sich davon gestört. Eher das Gegenteil ist der Fall, denn im fünfstöckigen Mietshaus im Duisburger Innenhafen sind die Fußballprofis unter sich und müssen nur aus der Wohnungstür fallen, um ein tägliches Trainingslager abzuhalten. „Bei uns wird‘s nie langweilig“, sagt Tobias Willi (26) aus dem ersten Stockwerk. Er genießt es regelrecht, seine Teamkollegen immer um sich zu wissen.
Gleich sechs MSV-Profis, die wegen ihrer weiß-blau gestreiften Trikots „Zebras“ genannt werden, sind schon am Philosophenweg eingezogen. Die Junggesellen Nils-Ole Book (20), Marco Caligiuri (22), Christian Weber (23), Idrissou, Lavric und Willi treffen sich nicht nur am Müllcontainer und im Fahrstuhl, sondern verbringen auch den Großteil ihrer Freizeit zusammen.
Zumindest versuchen sie das. Wenn nur Idrissou, den sie alle „Mo“ rufen, nicht immer zu spät käme. „Wahrscheinlich hockt der Mo beim Kaffee im Bistro oder er läuft wieder wie ein Pfau stundenlang durch den Innenhafen und checkt die Szene“, flachst Weber. Schließlich sei ja bekannt, dass sich der Kollege gerade auf Brautschau befindet.
Unter Nachbarn gibt es keine Geheimnisse. Erst recht nicht im Vergnügungsviertel Innenhafen. Aus dem ehemaligen Industriestandort schuf die Stadt Duisburg in den vergangenen Jahren eine hochmoderne Flaniermeile. Bistros sind in ehemaligen Getreidemühlen untergebracht, in früheren Lagerhallen wird heute getanzt. „Die Auswahl ist riesig, satt werden wir immer und Spaß haben wir auch“, meint Klemen Lavric, der es aber lieber gemütlicher angehen lässt und die gemeinsamen Grillabende schätzt. Häufig werfen Willi und Co. entweder auf einem der sechs Balkone oder der Wiese hinter dem Haus die Würstchen auf den Rost.
Den Grill, Marke Ikea, haben Tobias Willi und Christian Weber in fünfstündiger Kleinstarbeit zusammengesetzt. „Ein Mammutprojekt“, stöhnt Willi und lehnt sich zurück. „Wenn alle mit dabei sind, beschwert sich wenigstens keiner der Nachbarn über den Qualm“, sagt Marco Caligiuri.
Der Vermieter hat ohnehin nichts dagegen. Der gesamte Häuserblock gehört Walter Hellmich, der Bauunternehmer und MSV-Präsident in einer Person ist. Dem „Boss“ ist es nur wichtig, dass die Spieler in die 1. Bundesliga aufsteigen und die Miete pünktlich überweisen. Gibt‘s bei Kantersiegen denn wenigstens Mietminderung? „Doch nicht bei unserem Präses, der achtet auf jeden Cent“, schmunzelt Willi und darf sich durch das Grinsen seiner Kollegen bestätigt fühlen. 730 Euro Kaltmiete löhnen die Jungs für ihre jeweils 88 Quadratmeter mit drei Zimmern, Küche, Diele, Bad. „Dafür ist die Wohnung auch gut in Schuss“, findet Weber. Beim Vormieter Uwe Möhrle, der zum VfL Wolfsburg wechselte, erkundigte sich der Ex-Fürther über die Tücken der „Zebra-WG“ und erfuhr „ausschließlich Positives“. Auch die Ex-Duisburger Marino Biliskov und Razundara Tjikuzu wohnten hier bis zum Sommer. Abdelaziz Ahanfouf lebte zwei Blocks weiter, ehe er sich in Bielefeld ein neues Trainingsgelände für seine Kunstschüsse suchen musste. Der Stürmer machte sich bisweilen einen Spaß daraus, den Kollegen Lederkugeln auf die Balkone zu ballern, um sie aus dem Mittagsschlaf zu reißen.
Klemen Lavric findet derlei Störungen gar nicht witzig. Erst neulich rannte der Stürmer im Unterhemd und ziemlich angesäuert durchs Treppenhaus, um die Quelle für ein unsägliches Gekreische ausfindig zu machen. Irgendjemand hatte mal wieder die Musik zu laut aufgedreht. „Die Jungs sollen sich auf dem Platz austoben, nicht zu Hause“, schimpft Lavric und benennt damit Probleme, die wohl in jeder Hausgemeinschaft mal vorkommen. „Seitdem die Neuen da sind, ist es halt lauter als früher, aber Klemen soll mal locker bleiben“, meint Willi, der im Juli 2005 einzog und „Chef de Mission“ ist. Caligiuri und Lavric kamen im Frühling 2006, Weber, Book und Idrissou erst im Sommer, als sie zum MSV wechselten.
Tauschen möchte keiner. „Ich bin perfekt gelandet, besser geht‘s nicht“, sagt Idrissou. In Hannover bewohnte er früher ein geräumiges Reihenhaus, aber dieser Luxus sei kein Ersatz für den Spaß, den er nun mit seinen „fünf tollen Nachbarn“ habe. Zudem ist die Wohnlage glänzend. „Meine finanziellen und juristischen Probleme werden hier gelöst, ohne dass ich die Haustür verlassen muss“, meint der Kameruner todernst. Im Erdgeschoss hat Hellmichs Schwiegersohn Thomas Blatt seine Anwaltskanzlei, das Penthouse bewohnt Artur Grzesiek, Vorstandschef der Duisburger Stadtsparkasse, der zugleich auch Aufsichtsratsvorsitzender des MSV und Hellmichs bester Kumpel ist.
In der „Zebra-WG“ geht es ein bisschen wie im Internat zu. „Nur ohne Aufsicht“, preist Tobias Willi die Vorzüge des Zusammenwohnens und ist zufrieden nicht nur mit der Altersstruktur seiner nur unwesentlich jüngeren Kollegen: „Wir haben keine Frau im Haus, das passt schon.“
Die MSV-Profis teilen nicht nur Hausflur und Fahrstuhl miteinander. Mittags und auch in den Abendstunden werden die nahe gelegenen Restaurants aufgesucht. Man mag es dem Sextett aber abnehmen, wenn es geschlossen erklärt, dass man wie Profis lebe und mitten in der Saison, die mit dem Bundesliga-Aufstieg enden soll, nächtliche Aktivitäten meidet. Außerdem passe man gegenseitig aufeinander auf. „Wir brauchen nicht mal einen Weckdienst“, versichern die Fußballer, die jeden Morgen in zwei Autos gemeinsam zum Training fahren. Fehlt einer am Treffpunkt in der Tiefgarage, werde sofort Alarm geschlagen. „Deshalb kann keiner zu spät kommen, weil er verschlafen hat“, erzählt Caligiuri. Passiert sei das aber ohnehin noch nie.
Für die häuslichen Pflichten gibt es Trude und Rita. Die beiden Hausfrauen halten das Trainingszentrum sauber und schauen nach telefonischer Vereinbarung gelegentlich auch im „WG-Haus“ vorbei. „Alle außer Ole nehmen unsere Putzhilfen in Anspruch“, erzählt Tobias Willi, der die Frauen etwa alle zehn Tage anrücken lässt, weil sie sich bei ihm auch um die Wäsche kümmern. „Ich hab es nicht so mit der Waschmaschine. Rita und Trude hängen sogar die Socken schön sauber auf die Leine“, schwärmt Willi. Christian Weber nimmt derlei Dienste nur alle drei Wochen in Anspruch: „Das Gröbste mach ich selbst. Staubwischen kann ich alleine.“ Grund zur Klage sehen Trude und Rita nicht. „Bei manchem Vormieter sah es unmöglich aus. Momentan müssen wir aber nur den Standard machen, weil die Jungs sehr ordentlich sind“, loben beide.
Betont gepflegt, ja fast schon steril ist es in den sechs nagelneuen Wohnungen der „Zebras“, die häufig zusammenhängen, auf dem Balkon Karten spielen, mit der Playstation „daddeln“, ins Kino gehen oder einfach nur quatschen. Reibungspunkte gibt es kaum, und wenn, dann werden sie eben ausgeräumt. „Wenn einer den anderen im Training umgrätscht, ist das spätestens im Aufzug ausdiskutiert und vergessen“, meint Caligiuri, der glaubt, dass es gerade unter Fußballern besonders einfach sei, miteinander auszukommen: „Wirkliche Stinkstiefel gibt es in unserem Beruf nicht, wir verstehen uns nicht nur auf dem Rasen und finden auch sonst schnell Anschluss.“ Deshalb sei jeder neue Mieter auch willkommen, die Fluktuation kann in der Fußballbranche mitunter mehr als durchschnittlich sein.
Es ist dem Sextett anzumerken, dass es sich, wie es scheint, beruflich wie privat gesucht und gefunden hat. Kult sind die regelmäßigen Wetten, wie viele Minuten Mohamadou Idrissou ruhig sitzen kann, ohne Quatsch zu erzählen. „Mo schafft nicht mal eine Viertelstunde“, mokiert sich Weber, der die Stoppuhr unter dem Tisch versteckt hält.
Auch „richtige“ Probleme können die Fußballer unter einander besprechen. Seelentröster würden zwar keine benötigt, „aber wenn einer sauer ist, kann er das an der nächsten Wohnungstür direkt rauslassen“, sagt Nils-Ole Book. Es sei halt toll, zu wissen, dass spätestens zwei Stockwerke weiter immer jemand da ist, der gerade Zeit hat: „Wir reden manchmal über Fußball, haben aber auch andere Themen.“
Die gemeinsamen Fernsehabende finden im Wechsel bei Willi und Weber statt, weil die beiden die größten Couchgarnituren haben. Gleich beginnt die Champion‘s League und das Pizza-Taxi war auch schon da. Nur Idrissou muss noch mal kurz raus, eine Flasche Wasser holen. „Vielleicht treffe ich auf dem Weg ja noch eine nette Frau“, sagt er mit einem Grinsen. Die Kollegen johlen. „Der Mo hat halt einen Schuss weg, genau wie wir anderen auch“, sagt Willi, der später am Abend seine Klingel abstellt und die Fenster schließt. Der Diskolärm, der über die Flaniermeile zieht, würde ihm sonst den Schlaf rauben. Und auf betrunkene Witzbolde, die nachts schellen, kann er verzichten: „Laut sind wir selber, wenn es nötig ist.“
Längst hat sich in Fankreisen herumgesprochen, dass im Innenhafen sechs „Zebras“ unter einem Dach wohnen. „Wenn tagsüber Kinder klingeln und Autogramme wollen, ist das ja in Ordnung“, meint Tobias Willi. Er hofft, dass „unsere aktuelle Combo noch lange zusammen bleibt.“ Zuwachs wäre auch in Ordnung. Im Haus nebenan sind Zimmer frei.