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Archiv-Artikel

Das Kabinett des Herrn Heym

In Adlershof entsteht eine Insel der Forschung über Stefan Heym. Die Stadtteilbibliothek trägt bereits seinen Namen. Jetzt kommt ein eigener Bau hinzu, um an Leben und Werk des deutsch-jüdischen Autors und Aktivisten zu erinnern

Die Stadtteil-Bibliothek in Adlershof ist bisher vor allem für ihre kuschelige Atmosphäre bekannt: mit Wintergarten, vielen Grünpflanzen und großen Plüschtieren. Seit einiger Zeit aber widmet sich die Einrichtung vor allem dem Gedenken an Stefan Heym.

Erst vor zwei Jahren wurde die Bibliothek nach dem deutsch-jüdischen Schriftsteller benannt, denn dieser hatte nur eine S-Bahn-Station von der Bibliothek entfernt in Grünau seinen Wohn- und Arbeitssitz. Nun fand anlässlich seines fünften Todestages am 16. Dezember das Richtfest für das neue Stefan-Heym-Kabinett statt. Mitte Februar soll der Bau fertig sein.

Der Grafiker und Verleger Christian Ewald konzipierte das Heym-Kabinett, damit „Heym als Person lebendig bleibt“, so Ewald. Das Heym-Kabinett bietet den Besuchern einen „interaktiven“ Umgang mit seinen Lebenserfahrungen als Deutscher, Amerikaner und Jude und mit dem Werk des wichtigen Autors der Weltliteratur.

Jede Station von seiner Geburt in einer bürgerlichen jüdischen Familie in Chemnitz, seiner Exilzeit in Prag und den USA bis zu seiner Rückkehr in die DDR wird mit literarischen Texten und unveröffentlichten Fotos begleitet. Neben persönlichen Gegenständen wie Heyms Überseekoffer, seiner Schreibmaschine und seinem ersten PC aus den Achtzigerjahren können die Besucher in einem großen „begehbaren“ Album seiner Lebensstationen blättern. Bücher Heyms schweben über den Lampen als Symbol von Heyms „Bewegtheit“.

Eine von Ewald eingerichtete Dauerausstellung über Heym befindet sich schon im Wintergarten. Aber sie befasst sich hauptsächlich mit Heyms Engagement als Aktivist und Politiker. An verschiedenen Wandtafeln kann der Besucher Heyms berühmte Rede vom 4. November 1989 auf dem Alexanderplatz lesen, oder auch seine Rede als Alterspräsident zur Eröffnung des 13. Deutschen Bundestages im Jahr 1994.

Seit der Eröffnung ist die Bibliothek zur Standardergänzung für den Literaturunterricht geworden. „Jetzt kommen plötzlich Schüler, die Heym nicht kannten, und die DDR nicht erlebt haben und nachfragen“, sagt Anne Liersch, die Leiterin der Bibliothek.

Das Heym-Kabinett enthält eine umfangreiche DVD-Sammlung, auf denen Heym liest oder Interviews gibt. Exemplare seiner Bücher (und Hörbücher) stehen zur Verfügung. Originalmanuskripte und große Teile seiner Werke kann man dort lesen. „Wir können nicht mit dem Archiv in Cambridge konkurrieren, aber wir möchten den Leuten diesen Mann näher bringen“, so Liersch.

Der Heym-Nachlass, der aus nicht weniger als 300 Kisten besteht, wird an der Universität Cambridge in England verwahrt. „Aber viele Sachen, die nicht in Cambridge sind, sind im Heym-Kabinett“, so Bibliotheksleiterin Liersch.

„Ich habe mich immer eingemischt.“ Diese Worte Heyms stehen über der Tür des Kabinetts, da seine Literatur und seine politische Aktivität sich mit Themen der Vergangenheit, einer Zukunftsbewegung und einer neuen Gesellschaftsordnung beschäftigen. Einmischung und Bewegung sind deshalb wie in seinem Leben und seinen Büchern die Leitgedanken, die auch das Heym-Kabinett prägen.

Adlershof versteht sich als der naturwissenschaftliche Standort Berlins, und mit dem Stefan-Heym-Kabinett findet man eine geisteswissenschaftliche Insel innerhalb dieses Forschungszentrums. Benjamin Weinthal