: Inszenierte Ortserkundung per Kopfhörer
KLANGCOLLAGE Der Sound-Walk „Das große Buh“ von Dorothea Schröder macht rund um die Deutsche Oper politische Proteste ganz neu erfahrbar
„Die Hubschrauber des Bundeskanzlers stehen nicht zur Verfügung.“ Viermal steht dieser Satz auf Schildern, die in einem Blumenbeet neben der Deutschen Oper stecken.
Als Teilnehmer des Sound-Walks „Das große Buh“ rund um die Deutsche Oper neige ich dazu, diese skurrile Botschaft für einen Teil der Inszenierung zu halten. Schließlich geht es in „Das große Buh“ auch um die Oper als Teil des politischen Parketts, beliebt bei Staatsbesuchen und Kongressen. Aber unsere Guides pesen, ohne anzuhalten, an den Schildern vorbei, zur Garage hinter dem Opernhaus.
Dort hört man dann die Geschichte des Dirigenten Hermann Scherchen, dem hier 1959 die Reifen aufgeschlitzt wurden. Das war Teil von massiven Drohungen gegen Scherchen, der die Oper „Moses und Aaron“ von Arnold Schönberg zum ersten Mal in Deutschland aufführen wollte. Scherchen, der sich in den zwanziger Jahren mit Arbeiterchören beschäftigt hatte und wegen Ablehnung des Nationalsozialismus 1937 in die Schweiz gezogen war, war im Nachkriegsdeutschland ein wichtiger Protagonist der Neuen Musik. Antisemitismus und Feindschaft gegen links werden bei den heftigen Versuchen, seine Inszenierung von „Moses und Aaron“ zu verhindern, eine große Rolle gespielt haben. Politischer Protest, als Kunstkritik getarnt.
Damals stand das heutige Opernhaus noch nicht, das in den sechziger Jahren von dem Architekten Fritz Bornemann geplant wurde. Am Anfang des Walks blicken wir auf die Fassade aus Kieselsteinen. Für jedes Buh, für jeden Protest sei ein Stein in dieser Fassade, hören wir aus dem Kopfhörer – sagte das jetzt wirklich die Stimme des Architekten? Oder ist das eine Erfindung der Stückemacher?
Kleine Kollisionen zwischen dem Dokumentarischen und dem Fiktiven machen den Reiz solcher Ortserkundungen per Sound-Walk aus. Jeder hat Kopfhörer auf, während wir das Gebäude umrunden, durch die hohen Säle des Magazins und endlose Gänge hasten. In die Soundcollage aus Tondokumenten, Orchesterproben und Interviews mit Zeitzeugen mischen sich kleine Spielszenen vor Ort.
Gemacht hat den Abend eine Gruppe von Sound-Studies-Studenten der Universität der Künste, geleitet von Hans Peter Kuhn, einem alten Hasen experimenteller Theaterklänge. Die Regisseurin Dorothea Schröder hat zudem eine Gruppe Schüler von der Marcel-Breuer-Schule einbezogen, die in einem Workshop „Wir protestieren!“ übten.
Natürlich geht es um die Proteste gegen den Schah von Persien 1967, der hier eine Vorstellung der Zauberflöte besuchte. Unter den Protestierenden gegen seine Diktatur und seinen Empfang in der Bundesrepublik war der Student Benno Ohnesorg, der von einem Polizisten erschossen wurde. Mit der Bedeutung dieses Tages für die politische Kultur der Bundesrepublik umzugehen, gelingt dem Kunstprojekt nicht sonderlich gut. Ein bisschen agitatorisch wird die Besuchergruppe von den Schülern aufgemischt, die Sektgläser und Pflastersteine verteilen. Das sind vermutlich so Kompromisse, die entstehen, wenn Schüler und Hochkultur, Studenten und Protestbewegungen unter einen Hut gebracht werden sollen.
In anderen Szenen versetzt sich ein Schauspieler, Friedrich Witte, in Zuschauerrollen. Zum Beispiel vom Buh-Rufer aus dem zweiten Rang, ein Opernenthusiast, der sein Buh oder Bravo auch als Moment seines Auftritts begreift, ein öffentliches Sichtbarwerden mit der eigenen Meinung. Und es klingt ein wenig durch, wie Politikmüdigkeit dazu geführt hat, den ästhetischen Raum als stellvertretende Öffentlichkeit zu instrumentalisieren. KATRIN BETTINA MÜLLER
■ „Das große Buh“, 13., 14., 15. und 16. Juni, 19 Uhr, Deutsche Oper