Protest und lange Haare

Im Zusammenhang mit dem gerade frisch auf die Bühne gebrachten Udo-Lindenberg-Musical „Hinterm Horizont“ mag man doch mal in der Geschichte des deutschen Rockmusikers kramen, der ja auch eine Vergangenheit hat. Dass er etwa am Anfang seiner Karriere bei den City Preachers trommelte, wird selten genug herausgestellt, was ein wenig schade ist, weil diese Band überhaupt etwas in Vergessenheit geraten ist. Dabei wurden bei diesem eher lose organisierten Zusammenschluss reichlich Namen durchgeschleust, die später die Goldenen Schallplatten oder wenigstens Ruhm und Ehre nur so sammelten. Lindenberg war so ein City Preacher und kurz auch mal Alexandra („Zigeunerjunge“), die komplette Frumpy-Besetzung kam von hier, vorneweg mit Inga Rumpf. Und Dagmar Krause, die später in England mit Henry Cow zu einer der wichtigsten Stimme des Avantgarderock wurde.

Musikalisch folgte man bei den City Preachers dem Weg, wie er in den Mittsechzigern halt von der Holzklampfe, Pete Seeger, dem frühen Dylan und der neuen Lust an Folksongs gewiesen wurde, wie das auch auf der City-Preachers-Platte „Warum?“ zu hören ist. Lindenberg und Krause waren damals noch nicht dabei, aber interessant ist das 1966 erschienene Album dann doch deswegen, weil diese Sammlung „deutscher Protestsongs“ von zwei Männern erarbeitet wurde, an denen man in Folge im deutschen Popgeschäft einfach nicht mehr vorbei kam. Die Texte mit allen notwendigen Stichworten zur Zeit wie Moskau, die Mauer und Saigon stammen nämlich von Michael Kunze, der später mit „Griechischer Wein“ oder „Die kleine Kneipe“ Erfolge hatte und sogar eine Nummer eins in den USA mit seinem Text zu „Fly, Robin, fly“ für Silver Convention (komplett so: „Fly, Robin, fly. Up, up in the sky“). Und die Musik schrieb Ralph Siegel, der sich auch in Zukunft dann als unser Mann beim Grand Prix mit allen musikalischen Mitteln für den Weltfrieden einsetzen sollte und dafür ja schließlich belohnt wurde, 1982, als Nicole diesen Wettbewerb mit „Ein bisschen Frieden“ gewann. Siegel hat dazu die Musik gemacht und sich dabei alle Dissonanzen verkniffen, die er den City Preachers hier und da doch noch gönnte. Weil das so in die Zeit passte zu den Mittsechzigern. Als das Protestlied gerade der letzte Schrei war und mit „Eve of Destruction“ seinen ersten weltweiten Hit hatte. Gitte sang einfach „Ich mach Protest“, auch 1966. Aber das Establishment schlug erbarmungslos zurück mit seiner Geheimwaffe Freddy und dem beinharten Antiprotestlied „Wir“ gegen Gammler und Dauerprotestierer mit den unvergessenen Zeilen: „Wer hat sogar so ähnliche Maschen, auch lange Haare, nur sind sie gewaschen? Wir! Wir! Wir!“

Ja doch, so schön, schön war die Zeit. THOMAS MAUCH