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Archiv-Artikel

„Asbos“ bleiben im Dienst

Nach einer Mordserie schützt das britische Innenministerium Prostituierte. An der Politik ändert sich nichts

Nachdem in Ipswich fünf Frauen binnen sechs Wochen ermordet worden sind, zahlt die Polizei den Prostituierten in der englischen Kleinstadt Geld, damit sie nicht anschaffen gehen müssen. Die Aktion wird von einer anonymen Wohltätigkeitsorganisation finanziert.

Tania Nicol, 19, Gemma Adams, 25, Anneli Alderton, 24, Paula Clennell, 24, und Annette Nichols, 29, arbeiteten auf dem Straßenstrich in der Nähe des Fußballstadions von Ipswich Town. Die fünf Frauen sind erwürgt worden, ihre Kleidung ist verschwunden, der Täter – es handelt sich laut Polizei zweifellos um einen Serienmörder – ließ den Schmuck zurück.

Vorgestern rief die Polizei vor dem Spiel gegen Leeds United über den Stadionlautsprecher mögliche Zeugen auf, sich zu melden. Bisher sind rund 10.000 Hinweise eingegangen. Mehr als 300 Beamte sind für die Ermittlungen abgestellt. Ein Sprecher der Polizei sagte, er sei optimistisch, dass der Täter bald gefasst werde, man habe den Kreis der Verdächtigen auf unter 50 eingegrenzt.

Der Täter ermordete die bisher letzten beiden Frauen, nachdem die Leichen der ersten drei gefunden worden waren und ein starkes Polizeiaufgebot die anderen Prostituierten schützen sollte. Die meisten von ihnen mussten trotz der Gefahr auf die Straße, weil sie Geld für Drogen brauchten.

93 Prozent der Prostituierten in Ipswich sind heroinabhängig, mehr als die Hälfte ist obdachlos. Die Dealer aus London haben die umliegenden Kleinstädte längst als lukrative Märkte ausgemacht, Ipswich ist die zweitbilligste Stadt für Heroin in Großbritannien.

Landesweit gibt es laut Schätzungen 80.000 Prostituierte. In den vergangenen zehn Jahren sind fast hundert ermordet worden – das sind mehr als zehnmal so viele wie in den Niederlanden. Dort arbeiten die Prostituierten jedoch in sicheren Zonen, die durch Kameras überwacht sind.

Das britische Innenministerium zieht derzeit in Erwägung, kleinere Bordelle mit bis zu drei Frauen zu lizenzieren, um sie von der Straße zu bekommen. Seit 2001 können Autofahrer für „kerb crawling“, also langsames Entlangfahren am Bürgersteig, bestraft werden.

In einigen britischen Städten, zum Beispiel Edinburgh und Glasgow, gibt es Toleranzzonen, Liverpool plant ein offizielles Rotlichtviertel. Doch in den meisten Städten wird hart gegen Prostitution durchgegriffen.

In Ispwich hat die Polizei in letzter Zeit verstärkt Asbos gegen Prostituierte verhängt. Das ist die Abkürzung für „anti-social behaviour order“, eine Anordnung wegen antisozialen Verhaltens. Eine Asbo kann zum Beispiel anordnen, dass sich die Betroffenen von bestimmten Straßen oder Vierteln fernhalten, den Kontakt zu bestimmten Personen meiden oder abends zu Hause bleiben müssen. Wer dagegen verstößt, riskiert eine Gefängnisstrafe von bis zu fünf Jahren.

Das „English Collective of Prostitutes“, das für die Dekriminalisierung ihrer Arbeit kämpft, kritisierte das, weil die Frauen dadurch in dunklere, abgelegene Gegenden vertrieben werden, wo die Gefahr für sie sehr groß ist. Gewaltverbrechen gegen Prostituierte werden nur selten gelöst. Viele Frauen melden Misshandlungen gar nicht erst, weil sie von der Polizei keine Sympathien zu erwarten haben.

Ein Polizist sagte zur Sunday Times: „Sie sind Dreck, der von Dreck ermordet wird. Das schert mich einen Dreck.“

RALF SOTSCHECK