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Archiv-Artikel

Der Tankwart und seine Pflanzen

Andor Pirntke betreibt Berlins einzige Biotankstelle. Noch ist das Netz nicht flächendeckend. Aber in drei Höfen gibt es schon Rapsöl zum Zapfen

„Wer täglich stumpf hinterm Steuer hockt, freut sich über jede Begegnung“

Von Sebastian Krüger

Ein alter weißer Mercedes Bus irrt durch Weißensee. Heiko J. sitzt darin, ein Bonner Kleinspediteur. Der 26-Jährige sucht die Pflanzenöl-Tankstelle, die sich irgendwo hier in einer Seitenstraße befinden soll. Bei Shell hat er vorhin ein paar Liter Diesel gefasst. Bevor er sich auf den Rückweg gen Westen macht, will er den Rest seines Tanks mit Rapsöl füllen. Endlich hat er die Biotanke hinter einem verrosteten Blechzaun gesichtet. Jetter tuckert auf den Hof und hält genau vor dem weißen Container, durch dessen Plastikhaut eine braune Flüssigkeit schimmert.

Hier steht Andor Pirntke bereit, ein 25-jähriger Hüne, in Kapuzenpulli und Cargohosen. An einem Rädchen schnurrt er den Literzähler zurück, an einem Knöpfchen knipst er die Pumpe an. Hier greift der Tankstellenbesitzer noch selbst zur Füllpistole, und ein freundliches Gespräch gibt es gratis dazu. Im Winter ist Pirntke froh über jeden Kunden. Nicht so sehr, weil er weniger verkauft als im Sommer, sondern einfach wegen der Geselligkeit. Pirntke redet gern und mühelos – über Gesetzeslücken, Verkaufskonzepte und Preisspannen. Ihm gehört die größte deutsche Biotankstellenkette: Das sind zwar insgesamt nur drei Tanken, und im Angebot hat er bislang auch nur zwei Produkte. Doch die haben es in sich: Es ist wahlweise reines Rapsöl für 79 Cent oder Soja-Rapsöl-Gemisch für 75 Cent pro Liter.

Wegen des Preises aber ist Jetter, der Bonner Spediteur, nicht zum Pflanzenöltanker geworden. „Man spart zwar ordentlich“, sagt er, „aber die viele Zeit, die ich oft brauche, bis ich eine Tanke gefunden habe, macht dieses Plus wieder zunichte.“ Auch der ökologische Aspekt interessiert ihn kaum. Ihm gehe es um das Soziale, den lässigen Plausch mit dem Tankwart. „Wer täglich stumpf hinterm Steuer hockt, freut sich halt über jede menschliche Begegnung“, sagt Pirntke über seine Kunden. Typischerweise sind sie männlich, zwischen 30 und 40 Jahre alt. Spediteure wie Jetter sind dabei, kleine Taxifirmen und Privatleute, die es gern billig haben. Kunden in Nadelstreifen und Umweltbewusste bilden an den Pflanzentanken eine Minderheit. Dabei ist Pirntkes Produkt ökologisch einwandfrei: biologisch abbaubar und aus dem Auspuff kommen deutlich weniger Rußpartikel und Kohlenmonoxid als beim Mineralöl, und Salat anrichten kann man damit auch.

Die Motoren müssten für den Betrieb mit Pflanzenöl geeignet sein, sagt Pirntke, „bei über 10 Jahre alten Dieselmodellen von VW oder Mercedes ist das problemlos der Fall“. Neue Autos dagegen müssen für einige hundert Euro nachgerüstet werden. Am besten ist, man installiert in seinem Auto einen zweiten, kleineren Tank. Den befüllt man dann mit dem herkömmlichen Mineral-, den großen Tank mit Pflanzenöl. In Sachen Verbrauch und Leistung steht der Kraftstoff dem Mineralöl kaum nach, weshalb man ihn getrost zum „Streckemachen“ wählen kann. Das Mineralöl ist dann nur noch zum Anlassen des Motors nötig, weil es sich besser entzündet.

Pirntke hat das Geschäftemachen von der Pike auf gelernt: In Kaulsdorf aufgewachsen brach er als Teenager die Schule ab und beschäftigte sich damit, Geld zu verdienen. „Ach was“, sagt er, wenn er erst aufzuzählen anfinge, was er seitdem alles gemacht hat! Eine richtige Firma habe er auch schon mal gehabt: „Kosumkit“ hieß die, damit verkaufte er in Berlin entworfene und hergestellte Mode.

Irgendwann verpasste er seinem alten Mercedes Bus aus purem Tüftlerspaß einen Zweittank für Biokraftstoff und stellte für seine Privatversorgung im Garten seiner Eltern ein klobiges 1.000-Liter-Fass auf. Zur professionellen Tankstelle war es dann nur noch ein kleiner Schritt. Er besorgte sich von seiner Bank einen Kredit und vor genau einem Jahr eröffnete er Berlins erste Biotankstelle in Weißensee.

Am Anfang lief es schleppend, doch je wärmer es wurde, umso mehr Kunden fanden zu ihm. Sein Umsatz verdoppelte sich von Monat zu Monat, und im August verkaufte er erstmals über 100.000 Liter. Der Sommer muss ihm helfen, über den Winter zu kommen, denn jetzt verkauft er wieder so wenig wie am Anfang. Wenn am Tag zehn Kunden kommen, sind es viele. Doch Tankwart Pirntke nimmt es gelassen. Der Verkauf von Pflanzenkraftstoff ist ein Saisongeschäft. Der Grund: Wenn es kalt wird, wird das Öl zähflüssig, und bei Minusgraden bilden sich feine Kristalle, die Filter, Einspritzpumpen und Kraftstoffleitungen verstopfen können.

Beliefern lässt sich Pirntke mit Tanklastzügen für Lebensmittel. Das Rapsöl, das hier aus der Pumpe komme, sagt er, stehe auch bei Aldi im Regal. „Man könnte auch auf dem Aldi-Parkplatz tanken, aber das ist ja so umständlich: Man muss jede Flasche einzeln in den Tank kippen! Bei mir geht’s schneller.“ Unraffiniertes Pflanzenöl gilt als Lebensmittel und wird deshalb mit 7 Prozent Mehrwertsteuer verkauft. Und weil es nicht verboten ist, Lebensmittel als Kraftstoff weiterzuverkaufen, braucht Pirntke ebenfalls nur 7 Prozent draufzuschlagen – und liegt so im Preis um bis zu 18 Cent unter dem Diesel von Aral, Shell & Co.

Inzwischen hat er so viele Kunden, dass er sie nicht mehr alle beim Namen kennt. Das Geschäft wächst einfach zu schnell. Binnen eines Jahres konnte er noch zwei weitere Tankstellen eröffnen. Die eine liegt in Neukölln, der Inhaber einer Motorradwerkstatt betreut sie gegen Umsatzbeteiligung. Die andere befindet sich in Friedrichshain auf dem Gelände des Clubs „Octopussy“. Hier ist das Tanken besonders cool: Nachdem das Auto seinen Durst gestillt hat, hebt man selbst noch einen.

Letzte Woche nahm Pirntke beim „Octopussy“ eine blitzende Flüssiggas-Zapfsäule in Betrieb, eine neue Perle in seiner Alternativ-Tankstellenkette. Die soll auch im nächsten Jahr weiter wachsen. Er möchte Berlin mit einem flächendeckenden Netz aus Pflanzenöl-Tankstellen überziehen.

Die befinden sich dann nicht mehr auf einem Hinterhof in einer Seitengasse abgelegener Stadtviertel, sondern an großen, belebten Straßen. Manchmal träumt Pirntke von einer hell erleuchteten Großtankstelle, bei der er die verschiedensten Alternativkraftstoffe anbietet: Pflanzenöl, Ethanol, Flüssiggas, Biodiesel – alles aus einer Hand.