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Archiv-Artikel

BETTINA GAUS über FERNSEHEN Der Fürst und die Frechheit

Was passiert, wenn ein arbeitsloser Baufacharbeiter einen arbeitenden Ministerpräsidenten anpöbelt – jede nur denkbare Seite macht nun auf seinem Rücken populistische Politik

Wie reagieren viele Leute, wenn sie angepöbelt werden? Unsachlich. Hinterher ist ihnen das oft peinlich. Manchen derjenigen, die gepöbelt haben, ist ihr Verhalten auch peinlich, wenn der Rausch erst einmal vorbei ist. Im normalen Alltag ist das jedenfalls so. Aber sobald das Fernsehen und die Bild-Zeitung sich einmischen, ist niemandem mehr irgendetwas peinlich. Dann werden die Muckis gezeigt.

Es war bemerkenswert dämlich vom SPD-Vorsitzenden und rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck, einen Arbeitslosen anzupflaumen, er solle sich erst mal waschen und rasieren, dann werde er schon einen Job finden. Dämlich, aber verzeihlich.

Auch als Politiker darf man es einmal leid sein, sich dumm anreden lassen zu müssen. Irgendwann läuft fast jedem die Galle über. Unvergessen sind die Aufnahmen von Helmut Kohl, der nur mühsam von Sicherheitsbeamten daran gehindert werden konnte, sich auf einen Eierwerfer zu stürzen. Da war er richtig sympathisch.

Wenn Beck sich einfach für seine Entgleisung entschuldigt hätte – Schwamm drüber. Ja, die Bemerkung war taktlos, dumm, ressentimentgeladen. Aber wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein. Zum Skandal wird die Angelegenheit erst durch das, was danach geschah.

Ministerpräsidenten werden oft als Länderfürsten bezeichnet. Kurt Beck scheint zu glauben, es handele sich dabei nicht um spöttische Polemik, sondern um eine korrekte Amtsbezeichnung. Und was tut ein Fürst von Zeit zu Zeit? Er zeigt sich gnädig gegenüber seinen Untertanen. Die moderne Form des Gnadenerweises: Arbeitsangebote. Gleich acht an der Zahl. Der Fürst hat’s ja.

Vielleicht hat der SPD-Vorsitzende gar keine unsachliche, blöde Bemerkung gemacht. Vielleicht hat er einfach seine tiefe, innere Überzeugung ausgesprochen: Wer sich wäscht und rasiert, wird sich vor Jobs kaum retten können. Vielleicht ist es aber auch noch schlimmer: Er glaubt das nicht selbst, aber er weiß, dass viele in seinem Volk das glauben. Und will auf dieser Welle der öffentlichen Verachtung von Arbeitslosen gerne eine Weile surfen.

Für das Publikum hat er selber gesorgt. Die Aufforderung zur Körperpflege noch mal wiederholt und die Einladung an den arbeitslosen Henrico Frank, ihn in den fürstlichen Gemächern aufzusuchen, als Sofortmaßnahme erst mal an die Medien gegeben. Einen so viel Schwächeren der Meute zum Fraß vorzuwerfen – das ist ziemlich mieser Stil.

Aber der arbeitslose Baufacharbeiter wird auch von anderen benutzt. Die Vorsitzende des Wiesbadener Hartz-IV-Forums führt den 37-Jährigen vor die Kameras, damit Bilder gemacht werden können – und ergreift für ihn das Wort. Brigitte Vallenthin kündigt an, die Jobangebote würden geprüft und dann bewertet. Außerdem erklärt sie: „Herr Frank kämpft für alle Arbeitslosen.“ Als ob die es nicht auch ohne seine Hilfe schon schwer genug hätten.

Jetzt drängen auch andere vor die Mikrofone. Der wirtschaftspolitische Sprecher der Unionsfraktion Laurenz Meyer – Sie erinnern sich, das ist der Mann, der wegen umstrittener Zuwendungen eines Großkonzerns als CDU-Generalsekretär zurücktreten musste – benutzt markige Worte: „Das Verhalten von Henrico Frank ist ein Schlag ins Gesicht für alle, die wirklich Arbeit suchen. Wenn er angebotene Arbeit ablehnt, muss die Unterstützung gekürzt werden.“

Ja, und wenn er seine Großmutter erschlägt, dann muss er ins Gefängnis. Nun hat Frank zwar weder das eine noch das andere getan, sondern lediglich wegen eines anderen Termins ein Treffen mit dem Ministerpräsidenten abgesagt.

Aber irgendwie und irgendwo und überhaupt ist das ja so etwas wie Arbeitsverweigerung. Oder so ähnlich. Und nicht hinzugehen, wenn man zum Fürsten gerufen wird, ist Insubordination. Oder so ähnlich.

„Deutschlands frechster Arbeitsloser“, titelt die Bild-Zeitung. „Frech“: Das ist ein Wort, das für Untertanen passt.

Gestörter Empfang? kolumne@taz.de Morgen: Jan Feddersen PARALLELGESELLSCHAFT