: Vom Wahnsinn umzingelt
Die Musikzeitschrift „Spex“ hat eine neue Redaktion und zieht nach Berlin. Damit ist das Was, Wo und Wer geklärt. Das Wie erfahren Sie hier. Für die neuen Macher bleibt nur die Frage nach dem Warum
VON RALF NIEMCZYK
Es mag an der vorweihnachtlichen Beschwippstheit mit ihren Bürofesten und Piccolöchen gegen 16:30 Uhr liegen. Doch im deutschen (Pop-)Feuilleton tobt gegenwärtig der verschärfte Irrsinn. Und das alles nur, weil ein Nischenmagazin namens Spex nach einem langen und selbst zerstörerischen Prozess des Herumdiddelns (der Begriff „Verhandlung“ verbietet sich hier!) seinen Standort nach 27 stolzen Kölner Jahren nach Berlin verlagert. Der jahrhundertealte Konflikt zwischen der Rheinischen Republik und dem zentralistischen Preußen trifft die Artic Monkeys. Tränen, Emotionen, gelebte Geschichte. Die „Idomeneo“-Debatte ist dagegen eine lauwarme Brühe für Barolo saufende Bildungsbürger.
Hier noch mal kurz die Fakten: Nachdem das 1980 an Kölner Tresen gegründete Musikmagazin sich gegen Ende der Neunziger mit Verve und Schlaumeiereien in den ökonomischen Abgrund manövrierte, kam ein weißer Ritter aus München daher. Der mit Firmenmagazinen zu bescheidenem Wohlstand gekommene Ex-Konzertveranstalter Alexander Lacher erfüllte sich einen Lebenstraum. Er übernahm das Traditionsblatt und bewahrte die damalige Selbstverleger-Mannschaft um Tom Holert und Diedrich Diederichsen vor dem Schuldturm. Damit endete zur Jahrtausendwende die Phase Spex 1.0. Nicht wenige Branchenkenner sind bis heute davon überzeugt, dass man die Spex mit dem 20. Jahrhundert hätte beerdigen sollen/müssen. Wie Jim Morrison: ein schönes Grab auf dem Friedhof des Pop. King Lacher wollte es anders.
Er installierte eine komplett neue Redaktion um den Ex-Praktikanten Uwe Viehmann, der somit wie der von der Roten Armee anno 1945 übernommene letzte Funker im Führerbunker für „Kontinuität“ sorgte. So weit, so verdienstvoll. Das „Team Spex 2.0“ schaffte es über sechs Jahre hinweg, das Blatt durch die existenzbedrohende Krise der Musikindustrie zu manövrieren. Und ja, die Spex legte sich auch wie alle anderen eine Modemädchen-Strecke zu, schließlich musste man neuen, nicht-musikalischen Anzeigenkunden ein wohliges Umfeld bieten. Und klar auch, dass sich Alt-Leser und Alt-Redakteure über derartiges Frisuren-Verehrertum wüst aufregten. Grandseigneur Diedrich Diederichsen dagegen sah es milde bis weise und diagnostizierte angesichts der diversen Design-Awards für die Spex 2.0 eine stimmige Reaktion auf das veränderte popkulturelle Umfeld. Doch damit stand er ziemlich alleine. Mit aller in Köln gepflegter Besoffski-Sentimentalität ging es dagegen heiß her auf der 25-Jahr-Feier des Blattes anlässlich des Festivals c/o pop 2005. Hier wusch Ex-Herausgeber Dirk Scheuring etwa dem Redakteur Markus Hablizel in einer endlosen Generalabrechnung den Kopf. Selbst der nicht zu übersteigerten Hassreaktionen neigende DJ und Ex-Redakteur Hans Nieswandt stürzte sich wie ein Highlander ins Diskussionsgetümmel.
Das Merkwürdige: Verleger Alexander Lacher interessierte diese Veranstaltung nicht. Er war an jenem denkwürdigen Abend weder in Köln, noch unterstützte sein Piranha-Verlag die Sause mit logistischer Hilfe oder bayrischen Weißwürsten. Ökonomisch betrachtet hatte Lacher offensichtlich kein Gespür für die Pflege der schwierigen Marke Spex. Beobachter der Szene fragten sich damals, ob der „Chef“ möglicherweise sein eigenes Blatt nicht versteht, das wie kein anderes Musikmagazin Biografien veränderte und steile Medienkarrieren möglich machte.
Doch es sollte noch schlimmer kommen. Anfang 2006 überprüfte Lacher angesichts wirtschaftlicher Schwierigkeiten einen Umzug der Spex in die Hauptstadt. Damals kreisten bald Pressemitteilungen, von wegen der „Standort Köln“ wäre angesichts der anderen Piranha-Aktivitäten in München (Hauptsitz und Marketing) und Berlin (Sitz der Online-Sektion und des zu Piranha gehörenden Dance-Magazins Groove) nicht mehr tragbar. Aber, so Lacher damals, so cool sei Berlin nun auch nicht. Nur billiger eben. Ein butterweicher Auftakt für einen Eiertanz, der sich bis in den Dezember hinziehen sollte.
Letzte Woche jedenfalls war Hexensabbat. Die meuternde Kölner Spex-Redaktion entschied sich geschlossen gegen den Umzug und trat zurück. Dieser Ausstieg richtete sich nicht zuletzt gegen das neue „Konzept“ des Verlages, die Spex nur noch sechsmal im Jahr erscheinen zu lassen. Eine publizistische Hinrichtung auf Raten. Mittlerweile sind der neue Chef Max Dax und zwei Redakteure installiert, draußen im Lande wird unterdessen Feuer frei auf die gerade mal zwei Wochen planenden Spex-Novizen gegeben. Vom Berliner Stadtblatt Zitty über die junge Welt bis zur FAS. Ganz steil ging der wortgewaltige Romancier, Ex-Spex und heute FAZ-Redakteur Dietmar Dath. Dath ließ es sich nicht nehmen, im FAZ-Feuilleton vom 18. 12. ein längliches und selbst gefälliges Retrogefasel vom Stapel zu lassen. Schon die Überschrift des nur mit einem verschärften Glühweinkonsum zu erklärenden Traktats „Wie wir ‚Spex‘ zerstörten“ zeugt von uferloser Selbstüberschätzung.
Wie geht es nun weiter? Der schon vor Erscheinen des ersten Berlin-Heftes angegriffene Max Dax steht mit seiner neuen Zwei-Mann-Redaktion vor einer Herkulesaufgabe. Er muss eine neue Schreibermannschaft finden. Und die meisten freien Schreiber werden es sich dreimal überlegen, ob sie auf einem gebrandmarkten Geisterschiff anheuern wollen. Dax und Verleger Lacher müssen darüber hinaus Plattenfirmen und Markenartikler davon überzeugen, ihre Etats weiterhin bei Spex abzuwerfen. Doch bereits bei einer Pressereise Anfang Dezember – zu der Spex pikanterweise gar nicht mehr eingeladen war – stellte sich beim munteren Beisammensein in einem Londoner Pub unweit des Rockvenues Astoria die Gretchenfrage: Warum gibt es Spex überhaupt noch? Schließlich hat Max Dax das Magazin in einem Artikel zum 25sten in der Welt am Sonntag selbst für mindestens scheintot erklärt. Wir jedenfalls wünschen ihm bei der Belebung des Pop-Zombies die nötige Kraft und Inspiration. Keep The Faith.
Der Autor hat seit 1982 für Spex geschrieben, von 1985–1995 war er Mit-herausgeber. Er hat nichts gegen Berlin