: FRIEDEN!
Peace by piece, peace frog, man of peace, peace train, give peace a chance, peace spiritDAS WEIHNACHTS-SCHLAGLOCH von RENÉE ZUCKER
Friede auf Erden? Find ich gut. Wird vermutlich trotzdem nichts draus. Nicht in unserem Leben. Und danach auch nicht. Bis in alle Ewigkeit nicht. Amen.
Eigentlich könnte hier der Text mit den besten Wünschen für die Feiertage zu Ende sein. Es wird sowieso zu viel geschrieben. Aby Warburgs Empfehlung, man solle doch mehr lesen, dann würde auch nicht so viel geschrieben, ist unbedingt wieder aufzugreifen.
Vielleicht sollte man dem noch hinzufügen, dass auch viel mehr gesungen werden sollte, damit nicht so viel geredet wird. Zur Not auch Weihnachtslieder, Hauptsache, das Gequassel hat ein Ende. Auch am kommenden Sonntag, der wie alle anderen Sonntage der Tag des Herrn ist.
Aber das ist seinen Vertretern auf Erden noch lange nicht genug. Statt dass sie beispielhaft an allen Ecken einer Fußgängerzone sitzen und schweigend fromme Bücher lesen oder mit Pauken und Trompeten singend durch dunkle Gassen ziehen, müssen auch sie nur reden, reden und reden. Eine ganze Woche lang rief einer aus den Tiefen des Deutschlandfunks in der Pose des irre gewordenen Reverends im Goldgräberstädtchen Deadwood: „Bahnt für den Herrn einen Weg durch die Wüste. Baut in der Steppe eine ebene Straße für unseren Gott.“
Nach dem starken Auftritt mit den Worten des Endzeitpropheten Jesaja, der einem den Milchschaum auf der Kaffeetasse zusammenfallen ließ, folgte dann aber nur noch die üblich matte Bildungsbürgerpredigt, in der was von den „Wüsten unserer Sturheit“ zu hören war. Da widmet man sich doch wieder lieber lautstark der erneuten Milchschaumproduktion.
Nahezu zwei Drittel der deutschen Jugendlichen kommen aus einem unreligiösen Elternhaus und davon die Hälfte bestimmt aus alleinerziehendem Frauenhaushalt. Von den noch viel Unreligiöseren ohne jedes Kind wollen wir gar nicht reden.
In Polen, Irland und Kroatien hingegen erziehen fast alle ihre Kinder zu frommen Menschen.
Damit gehören sie allerdings in Europa zur Minderheit. Durch die Reformation aufgeklärte Briten, Niederländer, Finnen und Schweden haben’s – wie die Deutschen – auch nicht so richtig mit Gott. In England wurden sogar adventliche Firmenfeiern wegen potenzieller Muslimebeleidigung abgesagt. Dabei können gerade Muslime oft nicht genug von Weihnachten kriegen.
Mit unseren polnischen Mitbürgern teilen Türken und Araber die Zuneigung zum mehrjährig benutzbaren Kunststoffweihnachtsbaum mit mehrfarbiger Lichterkette. Sowieso wird die Hälfte aller Lichterketten an Türken verkauft. Wie bei der WM die Deutschlandfähnchen. Aber selbst das war immer noch besser als jene bestürzend unappetitlichen Gummi-Weihnachtsmänner, die an deutschen Balkonen neben der Satellitenschüssel emporklimmen. Das nur nebenbei.
Verkaufsoffen oder nicht: Der Sonntag bleibt der Tag des Herrn. Und wer seiner bis dato noch nicht ansichtig wurde, der kann sich so lange an seine Vertreter auf Erden halten. Die geben jetzt damit an, dass sie schließlich schon immer sonntags geöffnet hätten. Das ist ja wohl das Mindeste, was man von einem Unternehmen erwarten kann, dem es so gut geht wie den Kirchen hierzulande. Entgegen allen Klagen hat sich das kirchliche Vermögen aus Geldwerten, Immobilien und Unternehmensbeteiligungen nicht vermindert; zieht der Staat immer noch die Kirchensteuer ein und fördert konfessionelle Kindertagesstätten, Schulen wie kulturelle Einrichtungen; dürfen sie immer noch regelmäßig in den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ihre Weltanschauung kundtun.
Trotzdem wird wieder von allen Kanzeln das irdische Treiben gegeißelt, was das Zeug hält. Da kommt Stimmung in der Gemeinde auf, und jedes einzelne schlechte Gewissen räkelt sich bei jeder Mahnung umso wohliger im Sud des eigenen sündhaften Tuns.
Je nach Neigung des Predigers wird gegen zu viel oder zu wenig Multikulturalismus, Nationalismus, Patriotismus, Pluralismus, Liberalismus gewettert, und was natürlich auch immer wieder gern genommen wird: Globalisierung und Eigenverantwortung. Hauptsache, die Geschäfte draußen bleiben zu, die Spendierhosen drinnen an und der Ablasshandel blüht.
Wahrscheinlich waren es aber in den letzten Wochen, zumindest in Berlin, nur wenige, die sonntags unter kirchlicher Dauerbemahnung litten. Die Bevölkerung, weil unreligiös, kaufte nämlich doch lieber ein. Werk- wie sonntags. Tag und Nacht. Mit Reisebussen wurde sie aus den Provinzen bis an den Alexanderplatz und unter die Linden gekarrt. Dort wurde bis zum Abwinken hin und her flaniert, um schließlich als Höhepunkt nachts um drei Uhr bei Dussmann ein Hörbuch zu erstehen oder ein Absackerchen im Hauptbahnhof zu nehmen, bevor es wieder heimging.
Nach dem Potsdamer Platz ist jetzt der Hauptbahnhof der Hit. Obwohl dort nahezu die gleichen Shops wie am Potsdamer Platz zu finden sind. Ein Haarband von Bijou Brigitte, die Plockwurst zwischen Salatblättern im Thoben-Brötchen und zu guter Letzt noch ’ne Tom Ka Gai beim vietnamesischen Thai. Alles wie am Potsdamer Platz. Und auch wie am Hauptbahnhof von Hannover oder Leipzig. Dieses Vergnügen soll beileibe keinem vergällt werden, dennoch muss noch mal über diese verflixte Suche nach dem Vertrauten nachgedacht werden.
Hören wir doch, was der Herr dazu meint. Oder sein Ebenbild.
Neulich in der Radiomorgenandacht zitierte der Pfarrer ständig Koransuren, in denen die Muttergottes drin vorkommt – die natürlich im Koran nicht die Mutter von Gott, sondern nur Maria, Mutter vom Propheten Jesus, ist. Der Pfarrer wollte gar nicht mehr aufhören, die Ähnlichkeiten von Christentum und Islam zu betonen, und das erinnerte schwer an die aufdringliche, in den Sechziger- und Siebzigerjahren von jenem süßen schlechten Gewissen geprägte Gemeinsamkeitssuche zum Judentum. Je gemeinsamer es wurde, desto mehr hatte man den Eindruck des krassen Gegenteils. Auffällig ist, dass unter dieser Ähnlichkeitssucht immer wieder die deutsche Christenheit leidet. Fühlt sie sich alleine einsam? Oder ist sie nur noch verlogener als alle anderen?
Warum können wir uns nicht fremd bleiben, uns gegenseitig sogar blöd finden und trotzdem in einer Stadt, einer Straße oder einem Haus leben? Die Pommesfrittiererin ist mir so fern und so egal wie der Dönerabschneider und das kann gerne so bleiben, ohne dass es mir Albträume verschafft. Die krieg ich eher, wenn ich höre, wie der Nahost-Korrespondent Patrick Leclerq im Fernsehen erzählt, er sei Moslem geworden, damit er seine muslimische Frau heiraten konnte. So transusig wie seine Beiträge beschrieb er sein Verhältnis zur Religion: irgendwas vom gleichen Gott oder dass der Islam auch schön ist.
Als seine Frau gefragt wurde, ob sie denn aus Liebe zu ihm auch konvertiert wäre, sagte sie sofort und ganz klar: „Nein.“ Deutlicher kann man Ver- und Entwurzelung gar nicht zeigen. Darauf: Friede für alle!
Fotohinweis: Renée Zucker ist Weihnachten friedlich in Berlin