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Archiv-Artikel

Bad Religion

Keine Kriege, keine Krüppel, im Zeichen des Glaubens: „Imagine no Religion“ lautet der liebste Kampfspruch des britischen Evolutionsbiologen Richard Dawkins. Der Prophet der „Neuen Atheisten“ widersetzt sich dem religiösen Fundamentalismus – mit säkularem Fundamentalismus. Damit liegt er voll im Trend

VON ROBERT MISIK

Gerade lief es für den alten Knochen noch bestens: Der Präsident der einzigen verbliebenen Supermacht konsultierte ihn regelmäßig, und auch dessen fanatische Widersacher riefen ihn an, bevor sie ihre Selbstmordgürtel zündeten. Auch die Friedfertigen hielten sein Banner hoch. Und wer an ihm zweifelte, tat es nur im Stillen, denn schließlich will man ja niemandes Gefühle verletzen. So viel mitzureden in der Politik, und zwar weltweit, hatte der Kerl schon lange nicht mehr. Die Rede ist natürlich von Gott.

Doch, wie schon der Prophet Salomo sagte: „Ein Jegliches hat seine Zeit.“ Nichts ist von Dauer. Ein Mann vor allem will den Gottgläubigen das Handwerk legen: Richard Dawkins, 65, britischer Evolutionsbiologe von höchstem Renommee, hat nun den Kampf gegen die Religion aufgenommen. Mit seinem Buch „The God Delusion“ („Der Gotteswahn“) tourt er durch die USA und Großbritannien. Vor allem im bigotten Amerika, wo der Einfluss der evangelikalen Hardliner auf die Politik in den vergangenen Jahren erstaunliche Ausmaße erreicht hat, wird Dawkins gefeiert wie ein Prophet. Auf der Bestsellerliste der New York Times behauptet Dawkins seit 11 Wochen seinen Platz unter den Top Ten.

Es ist, als hätten viele Menschen nur auf einen wie Dawkins gewartet, einen, der Verständnis und Respekt vor den Religionen beiseite lässt; einen, der sagt, man solle den Irrglauben an höhere Wesen nicht tolerieren; einen, der kühl feststellt, dass die Religionen für die meisten Schrecklichkeiten auf diesem Planeten verantwortlich sind. Zumal Dawkins nur der leidenschaftlichste und renommierteste Vertreter einer neuen Strömung ist. Gerade eben landete der Autor Sam Harris mit seinem bitterbösen „Letter to a Christian Nation“ einen Bestseller, und auch der Philosoph Daniel Dennett, Anführer der „Brights“-Bewegung, die gegen den Glauben an übernatürliche Kräfte aller Art kämpft, verkaufte von seinem Buch „Breaking the Spell“ zehntausende Exemplare.

„Zwischen 20 und 30 Millionen Atheisten gibt es in den USA“, schätzt Dawkins. Im öffentlichen Leben jedoch seien sie an den Rand gedrängt. „Wir sind in derselben Situation wie die Schwulenbewegung vor ein paar Jahrzehnten. Ein Coming-out ist nötig.“

Die Bewegung der „New Atheists“ ist derzeit der letzte Schrei in Amerika. Magazine wie Newsweek widmeten ihnen große Storys, das Technologiejournal Wired feierte den neuen Atheismus gar mit einer knalligen Covergeschichte. Überall in den USA entstehen Aktivistengruppen, und in der Blogosphäre, den Weblog-Netzwerken im Internet, gilt der Kampf gegen die Religion schon als „The Next Big Thing“.

Reflex auf religiöse Rechte

Eine Überraschung – und wiederum auch nicht. Nirgendwo hatten bigotte Christenaktivisten das Feld in den vergangenen Jahren so gut bestellt wie in den USA. Sie nehmen nicht nur Einfluss auf die Regierungspolitik von George W. Bush, sie wirken bis in die politische Mitte hinein – weil viele liberale Politiker eine Scheu davor haben, sich mit den aggressiven Kampagnenprofis der christlichen Rechten anzulegen. Die religiöse Rechte kämpft dagegen, Darwins Evolutionstheorie in Schulen zu unterrichten, und will stattdessen „Intelligent Design“ – also die Lehre, dass der Schöpfergott auch noch die Evolution vorausgeplant hat – in die Lehrpläne aufnehmen oder gleich den Kreationismus unterrichten, also den Glauben, dass Gott die Erde genau so, wie sie ist, vor wenigen tausend Jahren erschaffen hat. Seien es die Auseinandersetzungen um die Homo-Ehe oder der Streit um die Stammzellenforschung, überall versuchen die christlichen Gemeinden Einfluss auf die Politik zu nehmen. Und auch in die Außenpolitik mischen sie sich lautstark ein – schließlich kommt die Vorstellung eines „Kampfs der Kulturen“ den Ideen einer Auseinandersetzung zwischen „christlichem Westen“ und „dem Islam“ entgegen. „Gegen diese Vermischung von Politik und Religion gibt es eine Gegenreaktion, die Leute haben das satt“, sagt Keith Porteous Wood, ein Mitstreiter Dawkins’ von der britischen „National Secular Society“.

Unerwartet viele Tore öffnen sich den „New Atheists“ dieser Tage. So predigte Dawkins unlängst in der First Parish Church am Harvard Square in Cambridge, Massachusetts. 3 Dollar Eintritt muss hinlegen, wer Dawkins’ Brandreden hören will, die Säle und Kirchen sind meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Schließlich tut Dawkins auch etwas für sein Geld. In elegantem Oxford English, das immer auch ein bisschen arrogant klingt, sagt Dawkins einen provokativen Satz nach dem anderen. „Solange wir daran festhalten, dass man religiösen Glauben respektieren muss, alleine deshalb, weil er religiöser Glaube sei, wird man Schwierigkeiten haben, Ussama Bin Laden oder Selbstmordattentätern diesen Respekt zu versagen.“

Glaube ist Nonsens

Gottglaube sei irrational, aber aufgrund falsch verstandener Toleranz handele es sich dabei um die einzige Art Nonsens, von dem es als anstößig gilt, ihn als solchen zu bezeichnen. Dass Eltern ihren Kindern ihren Glauben vermitteln, nennt er gerne „Kindesmisshandlung“. Wenn er von der Ausbreitung der Religion spricht, redet er von „mentalen Viren“. Wenn man ihm vorhält, er propagiere Intoleranz, dann interpretiert er das als Symptom des „privilegierten Status der Religionen, die gewohnt sind, sich durchzumogeln, und erwarten, dass sie sich Kritik nicht stellen müssen“. Besonders viel Spott hat Dawkins aber für jene Leute übrig, die er für atheistische Warmduscher hält – Leute, die sagen, „ich bin ein Atheist, aber die Leute brauchen den Glauben“. Dawkins: Diese Atheisten „glauben an den Glauben“ und halten die einfachen Leute für dumm.

Dawkins und seine Mitverschwörer, formulierte Wired treffend, kämpfen „nicht nur gegen den Glauben an Gott, sie kämpfen auch gegen den Respekt vor dem Glauben an Gott“. Sie wollen nicht die Gläubigen zum Unglauben verführen, sondern die Agnostiker und Liberalen zum Kampf gegen die Religiösen. „Imagine no Religion“ lautet Dawkins liebster Kampfspruch – „stellt euch vor, es gäbe keine Religion“, dann gäbe es auch keinen Kampf der Kulturen, die Wissenschaft müsste sich nicht mit bigottem Nonsens herumschlagen, Kinder würden zu vernünftigem Denken erzogen, und die Türme des World Trade Center würden auch noch stehen. „Imagine no 9/11, keinen Bürgerkrieg in Nordirland, keine Massaker, keine Ehrenmorde.“ Die Gläubigen lasse er erst in Ruhe, „wenn sie uns in Ruhe lassen, wenn sie die Kinder in Ruhe lassen, wenn sie aufhören, sich gegenseitig zu bekämpfen und den Rest der Welt in Gefahr zu bringen“.

Die Rhetorik der neuen Atheisten ist kaum zu verstehen ohne die harten Bandagen, mit denen die religiöse Gegenseite bisher agierte – die hatte mit Provokationen und aggressiver Polarisierung Erfolg, und diese Strategie greifen ihre Gegenspieler einfach auf. Mal eher polemisch, mal eher wissenschaftlich, versuchen sie sogar zu beweisen, dass Gott gar nicht existieren kann. Zu einiger Berühmtheit brachte es in diesem Zusammenhang schon die Website www.whydoesgodhateamputees.com. Die entwaffnende Frage: Wenn Gott existiert und die Gebete der Menschen erhört, warum wachsen dann Amputierten nicht ihre Gliedmaßen nach? Die Antwort: Entweder die Gebete nützen nichts, weil Gott gar nicht existiert. Oder Gott existiert – und hasst die Amputierten. Mit ähnlich bissiger Logik argumentiert Bestsellerautor Sam Harris gegen religiöse Abtreibungsgegner: „20 Prozent aller Schwangerschaften enden mit Fehlgeburten. Wenn Gott existiert, dann ist er der fleißigste Abtreibungsdoktor von allen.“

Schon warnt etwa Nicholas Kristof, Kolumnist der New York Times, vor der aggressiven Militanz der „Atheistenbrigade“ – die schramme selbst haarscharf an fundamentalistischem Dogmatismus vorbei. John Green vom Pew Forum on Religion and Public Life, einem New Yorker Think Tank, assistiert: „Man kann von einem säkularen Fundamentalismus sprechen, der den religiösen Fundamentalismus attackiert.“

Die Atheistenbrigade

Nicht unwahrscheinlich, dass trotz anderer Debattenlage die „New Atheist“-Bewegung auch auf Europa übergreift – schon alleine, weil alles, was in Amerika in Mode kommt, irgendwann auf Europa abstrahlt. „Brights“-Aktivsten gibt es schon in Großbritannien, Frankreich und Deutschland (www.the- brights.net). Außerdem gibt es auch in hiesigen Breiten Versuche christlicher Würdenträger, wieder mehr Einfluss auf das politische und kulturelle Leben zu nehmen, etwa in der Debatte, ob die Türkei zu den „christlichen Werten“ Europa passe, oder im Europäischen Verfassungskonvent. So fragen mittlerweile führende Intellektuelle wie etwa der Hamburger Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma: „Muss man Religiosität respektieren?“ Reemtsma: „Nicht jeder Unfug, nur weil einer ihn für wichtig hält, kann Achtung verlangen, wenn man unter Achtung mehr versteht, als ihn einfach machen zu lassen, sofern er keinen Schaden anrichtet.“

Richard Dawkins jedenfalls will seinen Kampf mit Elan weiterführen. Denn obwohl der Evolutionsbiologe Gläubige aller Art für ziemliche Idioten hält, will er nicht darauf vertrauen, dass sie gemäß dem darwinschen Prinzip „Survival of the Fittest“ einfach aussterben: „Die Ignoranz stirbt nicht aus.“ Vielleicht aber, ätzt die New York Times, gelinge es dem streitbaren Naturwissenschaftler ja doch, manch Gottgläubige in ihren Gewissheiten zu erschüttern: Schließlich stelle sich die Frage, warum Gott, wenn er denn allmächtig sei, „nicht einen Blitz vom Himmel schickt, um Richard Dawkins zu zerschmettern?“