: Jugend filmt gegen die Sucht
PRÄVENTION In einem Hamburger Projekt drehen Jugendliche eigene Videos und Kurzfilme. Sie sollen darin ihren Umgang mit verschiedenen Suchtformen reflektieren
VON ELENA OCHOA
Alkopops, Flatrate-Saufen, Alkoholvergiftungen – trinken Jugendliche immer mehr und immer öfter? Nein, das behaupten zumindest einschlägige Studien in Deutschland. Grund für diese positive Entwicklung sind unter anderem zahlreiche präventive Maßnahmen, in denen Jugendliche ihren Umgang mit Alkohol reflektieren und überdenken sollen. Prävention ist gerade bei ihnen sinnvoll: Damit die ersten Erfahrungen mit Höherprozentigem nicht in der Suchtfalle enden. Eins dieser Projekte heißt Sixpack und findet in Hamburg statt. Es wurde entwickelt vom Büro für Suchtprävention. In kleinen selbstgedrehten Kurzspielfilmen und Videoclips setzen sich Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren mit ihrem Alkoholkonsum spielerisch auseinander. Sie spielen sich quasi selbst und stellen ihre Erfahrungen mit Alkohol, aber auch Drogen und anderen Suchtfallen wie extremer PC-Nutzung dar.
Ein Martini zwischendurch
„Mir macht es Spaß, betrunken zu sein“, sagt die 16-jährige Merle in einem dieser Filme. „Es wäre schön wenn jetzt schon Wochenende wäre und ich dann saufen könnte.“ Der Clip beinhaltet zwei Filme: „Trinkende Kids / Kiffende Kids“. Beide sind aufgebaut wie eine Reportage und begleiten Jugendliche bei ihren Trink- oder Kiffgelagen. Auch Paul ist 16 und trinkt gerne am Wochenende. Bisher hatten Merle und Paul keine Probleme, auch an hochprozentigen Alkohol ranzukommen – obwohl der Verkauf gesetzlich geregelt und verboten ist. Zwischendurch werden im Film kleine Werbespots eingeblendet, die den Alkoholkonsum zelebrieren, zum Beispiel eine Frau, die ihren Martini vor, nach und zwischen den Mahlzeiten trinkt.
Laut der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ist der regelmäßige Konsum von Alkohol zurückgegangen, bei Jugendlichen genauso wie bei Erwachsenen. Im Jahr 1979 tranken 44 Prozent aller 12- bis 25-Jährigen regelmäßig, 2008 waren es nur 29 Prozent. Die Statistik zeigt also: Seit 30 Jahren sind Jugendliche in der Gesamtheit nicht so vernünftig mit Alkohol umgegangen wie heute.
Sogar das Interesse an Modedrinks wie den Alkopops, einer Mischung aus Limo und Hochprozentigem, ist seit 2004 deutlich zurückgegangen – seit die Getränke hoch besteuert und der Verkauf an unter 18-Jährige verboten wurde. Dennoch: Die Zahl derer, die regelmäßig viel trinken, bleibt seit Jahren gleich. 40,5 Prozent aller männlichen Jugendlichen greifen mindestens einmal pro Woche zu Alkohol, bei den Mädchen sind es dagegen nur 17,4 Prozent.
Das Büro für Suchtprävention versucht, insgesamt sechs Bausteine in diesem Projekt miteinander zu verbinden, zum Beispiel sowohl mit Jugendlichen als auch mit deren Eltern zu arbeiten. „Vor allem das Thema Fernsehen spielt eine wesentliche Rolle“, sagt Colette See. Sie hat die Betreuung des Projekts im letzten Jahr übernommen und ist der Ansicht, dass kaum ein Medium Jugendlichen so ein positives Bild vom Alkoholkonsum vermittelt wie die Werbungen von Bacardi, Martini und Becks-Bier. Deshalb habe anfangs der Fokus von Sixpack auch auf Alkohol gelegen.
„Doch mittlerweile müssen wir uns neueren Entwicklungen anpassen und auch andere Themen behandeln.“ Das Ziel, eine Sensibilisierung im Umgang mit Suchtmitteln zu schaffen, ist jedoch geblieben. „Jugendliche zwischen 14 und 18 Jahren sollten sich mit riskantem Konsumverhalten auseinandersetzen“, sagt See. Medienpädagogen und Präventionsexperten begleiten die Jugendlichen während der Produktion von Kurzfilmen und Video- oder Musikclips. Im Dezember letzten Jahres sei einer der Filme sogar bei dem Kurzfilmfestival „Jugendmediale abgedreht“ in Hamburg gezeigt worden.
Lieber vor dem Computer
Im Timo-Jugendclub drehten Jugendliche 2010 unter dem Motto „Netz mit Web-Fehlern“ zusammen mit dem Leiter Jörn Glagow kurze Spots zum Thema Computer-Sucht. Glagow ist Präventionsexperte und Pädagoge. Die Jugendlichen des Timo-Clubs haben selbst die Idee entwickelt, gedreht und anschließend auch geschnitten, sagt Glagow. „Ich habe ihnen die Technik erklärt. So haben sie gelernt, was sie bewirken können, wenn sie mit verschiedenen Einstellungsgrößen spielen.“ Ein Junge in dem Film sitzt lieber vor seinem Computer, anstatt sich mit seinen Freunden zu treffen. Zwei andere wollen die meckernde Mutter auf stumm klicken und entfernen sie am Ende gar mit einem Klick auf das „X“ in der Ecke aus dem Bildschirm.
In „Die kiffenden Kids“, dem zweiten Teil des Alkohol-Clips, werden Jugendliche nach dem Cannabis-Konsum von der Verkehrspolizei aufgegriffen. Die Konsequenzen für den Fahrer Tom sind hart: Führerschein weg, Idiotentest, Geldstrafe und die Beantragung eines neuen Führerscheins. Insgesamt entstehen ihm so Kosten von bis zu 2.000 Euro. Tom sieht das als die Gelegenheit, den Konsum zu beenden. Max jedoch raucht weiterhin täglich und wird irgendwann auch noch von seiner Freundin verlassen. Die beiden Filme werden regelmäßig bei Einsätzen in Fahrschulen genutzt. Zusammen mit den Fahranfängern wird dann über das Thema Alkohol und Drogen im Straßenverkehr geredet.
Durch medienpädagogische Betreuung soll nicht nur die Kreativität in der Gruppe und das Bewusstsein einer Suchtgefahr gefördert werden. „Das Wissen der Jugendlichen verändert sich auf vielen Ebenen“, sagt Glagow. Sie würden plötzlich das Fernsehen anders wahrnehmen. „Nun wissen sie auch, dass bei einem Film nicht alle Sequenzen an einem Tag gedreht werden müssen.“ Und wenn ein Film am Ende dann fertig sei, wären die Jugendlichen wahnsinnig stolz.