ENG UND VERRAUCHT – SONST KANN MAN ZU HAUSE BLEIBEN
: Tatterige Engländer in HD-Qualität

VON RENÉ HAMANN

Romy Schneider grinst mich an. Von der Wand dieses ehemaligen Friseursalons, der jetzt eine Bar für junge Leute, Hipster und Touristen im Reuterkiez ist. weitläufig, bewohnbar, mit tschechischem Bier und internationalem Publikum und einer Leinwand, die ein gestochen scharfes Bild bietet: ZDF in HD-Qualität. Wo gibt es so etwas sonst? Also gucken wir heute im Damensalon, und Romy ist das Maskottchen, das vom Logo herunter lächelt. Die Atmosphäre im Laden ist etwas unruhig, da es sich die Girl Groups in der Ecke nicht nehmen lassen wollen, ihre Leben zu bequatschen, aber klar, ist ja der Damensalon. Auch ist es etwas eng und verraucht, aber das gehört dazu – ansonsten könnte man zu Hause bleiben.

Also, England spielt gegen Uruguay, Uru-Fans gibt es keine, dafür ein paar Engländer, einer sogar mit Trikot, dazu ein paar deutsche England-Fans, wegen Popkultur und so, immerhin sind die Balotelli-Fans zu Hause geblieben, die beim Italien-Spiel hier für ausgleichende Verhältnisse und reichlich Marihuana-Wolken gesorgt hatten. Die Luft in Manaus, auf natürlichem Wege nachgestellt. Das Spiel gegen Uruguay findet in Natal statt, da ist es weitaus kühler, Natal erinnert an Weihnachten, so fühlt sich auch das Wetter an.

Als Luis Suárez das erste Tor köpft, wird es still im Laden. Gespenstisch still. Ausgerechnet Luis Suárez, der schlimme Finger vom FC Liverpool, Suárez, der Killer, der mit der Hand des Teufels im Viertelfinale gegen Ghana vor vier Jahren halb Afrika in Trauer gestürzt hat!

Und immer spielt jemand, der Rodríguez heißt. Oder anders: Rodríguez spielt immer. Diesmal in Himmelblau auf links.

Wird Wayne Rooney antworten können? Sieht nicht so aus: Riesenchance, Rooney schießt den Torwart an, allmählich scheint er zum tragischen Held zu werden. Wie viele „years of hurt“ („Three Lions“, The Lightning Seeds) sind es jetzt schon? Wirklich schon 58? Die jungen Wilden im Team sind noch zu grün – und die Alten schon zu tatterig. Da plötzlich wird England stärker, ein Ball wird in die Mitte durchgestochert und Wayne Rooney schiebt ihn ins Tor! Ausgleich! Unfassbar.

Ein gaaanz langer Ball

Jetzt ist alles offen. Angriffe hier wie da. Dann ein gaaanz langer Ball, verlängert von einem englischen Hinterkopf. Luis Suárez, der Killer, hat sich frei gelaufen und hämmert den Ball zum entscheidenden 2:1 ins Netz! Armes England.

Also werden es bald „60 years of hurt“ sein. Nach der WM im eigenen Land, 1966 mit dem Wembley-Tor im Finale, hat England nichts mehr gerissen. Raus sind sie noch nicht, den Weltmeister haben wir hier aber nicht gesehen. Noch ein Kruscovice? Ein sehr süßes Bier. Was Freunde nicht davon abhält, es mit Zitronenlimo strecken zu lassen.

Am Ende des Abends diskutieren wir vor der Ladentür über die Favoriten. Spanien ist raus, England kann es nicht, die Urus sind nur mit Suárez gut, wer soll denn bitte Weltmeister werden? Genannt werden: Deutschland, Holland, Chile. Brasilien, sagt einer. Alles, nur das nicht.

Heimmannschaft: England, Deutschland, Italien. Gästeblock: Internationale Hipster. Stadionimbiss: Nüsse in der Schachtel. Ersatzbank: Das Café Goldberg ist nur einen Einwurf entfernt, allerdings lassen sich die Betreiber oft lieber hier blicken, weil sie das »relaxter« finden. Rote Karte: Luis Suárez.