Berliner Platten
: Wohlige Melancholie in der Kabeltrommel

T.Raumschmiere: „Random Noize Sessions Vol. 1“ (Shitkatapult/ Alive)

Morgens zieht Nebel durch die Straßen, mittags wird es gar nicht erst richtig hell und abends blicken sich die Menschen in trübe unterlaufene Augen. Der Klimawandel ist schuld, der Schnee fehlt und die aktuelle Ausgabe der tristen Jahreszeit ist noch ein bisserl trüber als gewohnt. Also allerhöchste Zeit für die zum Blick aus dem Fenster passende Jahresendzeitmusik. Könnte man einen Weihnachtsstollen hören, klänge er wohl wie White Daughter auf ihrem Album „Stiff With the Invisible“: Spröde, obwohl mit reichlich Butter, voller vieler verschiedener Zutaten und am Ende liegt er einem doch im Magen. Denn Nathan Bennett und Mark Bihler, die zwischen Berlin und London pendeln, erinnern mal an den leicht depressiven Synthie-Pop von Depeche Mode und suhlen sich dann doch wieder gitarrengestützt in der Weite amerikanischen Indie-Rocks. Die beiden, die sonst zum Quartett erweitert als „Bridge and Tunnel“ Musik machen, lassen mal die Sequenzer im roboterhaften Technorhythmus tackern und dann schwelgen sie sich doch wieder durch eine romantische Ballade. Mal besteht der Sound ganz spartanisch nur aus großzügig verteilten Tönen, mal schichtet ein ganzes Düsterorchester eine steile Klangwand auf. Dabei stehen Gesang und Gitarre oft allein, werden nur ergänzt mit elektronischen Klängen, die fast ausnahmslos aus einem „Polyvoks“ stammen. Der Synthesizer sowjetischer Bauart, mit dem Ende der Siebziger Jahre versucht wurde, den legendären Moog zu imitieren, verschafft den Aufnahmen eine bisweilen geradezu altertümliche Aura. Selbst die Gitarre klingt im Vergleich geradezu modernistisch. Ja, die Zeit zwischen den Jahren bekommt mit White Daughter allerdings einen unverdient verträumten, geradezu melancholischen Anstrich. Diese Gefahr besteht erst gar nicht mit T.Raumschmieres neuem Werk, hier ist jede allzu gefühlige Anwandlung getilgt. Die Tracks von „Random Noize Sessions Vol. 1“ entstanden zwar allesamt während der letzten sechs Jahre parallel zu seinen bekannten Veröffentlichungen, haben musikalisch aber kaum etwas mit denen gemein. Bislang brachte Marco Haas, der sich hinter dem Alias T.Raumschmiere verbirgt, vor allem möglichst wuchtige Tanzbodenbretter mit Punkattitüde heraus. Nun scheint er in Tracks, die so aufbauende Titel tragen wie „Die alte Leier“, „In The Ghetto“ oder „Neulich im Bestattungs-Discount“, den Selbstgesprächen von Widerständen und Transformatoren, Bits und Bytes nachzuforschen. Das Knistern des Stroms wird zum Ereignis, das Auf- und Abschwellen von Hochspannung zum Sound der Nacht und das Rauschen eines leeren Signals zum Statement. Der Rhythmus der Instrumentals geht darüber manches Mal so grundsätzlich verloren, dass man die Stücke eigentlich als Ambient bezeichnen müsste. Nur dass in den Sounds von Haas kein Platz bleibt für dessen wohlige Gemütlichkeit. Die „Random Noize Sessions“ setzen dem nervtötenden Chillout-Sound ein Ende, der seit der elektronischen Revolution die Kuschelzonen beherrscht. Das neue Jahr kann kommen. THOMAS WINKLER

White Daughter: „Stiff With the Invisible“ (Onomatopop/ Popup/ Cargo)