Der Raum zwischen Bild und Text

FOTOFILM Mit Vortrag und Diskussion: Die Akademie der Künste zeigte den Fotofilm „Fiasko – Fragmente nach dem gleich- namigen Roman von Imre Kertész“

Immer wieder fühlt er sich, als ob er im Leben eines anderen Menschen Platz genommen hätte

Stell dir vor, du hörst im Radio eine Erzählung, vielleicht zunächst nur mit halbem Ohr, weil du dabei Fotos ordnest, mit dir vor und hinter der Kamera, und allmählich schiebt sich der gehörte Text zwischen die festgehaltenen Erinnerungen und dich. Die Orte der Bilder rücken an die Schauplätze des Gehörten, in den vertrauten Gesichtern der abgebildeten Personen scheint plötzlich die Möglichkeit auf, dass sie noch ein anderes und dir unbekanntes Leben führen. Voller Erstaunen blickst du wie aus weiter Ferne mit einem Mal auf dein eigenes Leben.

So ungefähr funktioniert der halbstündige Fotofilm „Fiasko – Fragmente nach dem gleichnamigen Roman von Imre Kertész“, der am Freitag in der Akademie der Künste vorgestellt wurde. Für Janet Riedel, die sich als Fotoreporterin auf die Suche nach Orten aus Kertész’ Romanen und Leben gemacht hat, war es ihr erster Fotofilm, unterstützt von Gusztáv Hàmos und Katja Pratschke, die auch ein Buch über das ungewöhnliche Genre herausgegeben haben. Ein wenig geriet die Veranstaltung zu einer Erklärung des Mediums; Gusztáv Hàmos las aus seinem Buch, das am Büchertisch erworben werden konnte, einige Zitate über die Offenheit des Fotofilms vor, der zwischen Text und Bildern viel Raum für die eigenständige Interpretation lasse. Vor dem Film würdigte Hinderk Emrich, als Filmtheoretiker und Philosoph vorgestellt, die komplizierte Struktur von Kertész’ Roman „Fiasko“ in einem Vortrag, als müsste man dem Zuschauer vor der Aufführung die große Bedeutung des Themas vor Augen führen.

Mit Negativbildern einer aus dem Flugzeug gesehenen Landschaft, mit der Leere von Rollfeldern und den routinierten Gesten von Sicherheitskontrollen beginnt die Bildebene von „Fiasko“, während einer, der ankommt in seiner Heimatstadt, von Fremdheit erzählt, dem nicht Wiedererkennen und dem Déjà-vu der Fremdheit. Immer wieder fühlt er sich, als ob er im Leben eines anderen Menschen Platz genommen hätte; und weil man währenddessen in kleine Winkel einer fremden Wohnung blickt, fühlt man sich ähnlich. Sehr schnell steuert der Fotofilm auf den Punkt zu, dass dieser Abstand zwischen dem Erzähler und seinem Leben von seiner Erfahrung herrührt, „den eigenen Tod überlebt“ zu haben. Was man dabei sieht, sind Wachen und Besucher, touristisch gekleidet, am Eingang eines Konzentrationslagers.

Steinig, Felsen und Berg heißen drei Protagonisten, von denen und die man in „Fiasko“ erzählen hört. Man wundert sich zuerst, dabei auch das Bild einer Bergkuppe zu sehen, über die ein schmaler Weg führt; oder ein Geröllfeld aus bemoosten Steinen. Aber dann, während Berg erzählt, wie er Henker wurde und seinen ersten Mord beging, ist man froh, gerade das nicht zu sehen. Die Namen sind ja kein Zufall, die Einsamkeit und das Schroffe, die mit ihnen aufgerufen werden, passen zu vielen Bewegungen des Rückzugs, den die Erzählung immer wieder zu ihrem Gegenstand nimmt, um nicht daran zugrunde zu gehen.

„Fiasko“ von Kertész ist ein Roman über das Entstehen eines Romans. Beim Sehen des Fotofilms weiß man zwar nicht, auf welcher der vielen Metaebenen man sich gerade befindet, aber das hindert nicht am Einstieg in den Raum zwischen Bildern und Text. Wenn man dann im Vortrag hört, wie schwer sich die Struktur des Romans beschreiben lässt, ist man dem Film erst recht für sein beherztes Hantieren mit Fragmenten dankbar. „Fiasko“, der Fotofilm, käme durchaus ohne gelehrsamen Begleitschutz aus. KATRIN BETTINA MÜLLER