piwik no script img

Archiv-Artikel

Der Esel auf der Bühne

BREMER FILMTAGUNG Das Tier im Film – in Bremen diskutierte ein international besetztes Symposium über die Kulturgeschichte des Kinos

Der Auftritt des Tiers auf den Bühnen der Menschen ist immer auch eine Störung

VON THOMAS GROH

Das Piano spielt in sich versunken zum Vorspann. Es umschmeichelt den Text, treibt ihn behutsam voran: Schubert, Piano Sonata No. 20. Da ertönen Dissonanzen, schließlich kommt die Musik ganz zum Erliegen: Mit einiger Insistenz krakeelt mit einem Mal ein Esel sein Weh und Ach in den Film, der noch gar nicht recht begonnen hat.

Natürlich, die Rede ist von „Au hasard Balthazar“, Robert Bressons Passionsgeschichte des berühmtesten Esels der Filmgeschichte. Dessen störrischer Einbruch in die Weihehallen bürgerlichen Bildungsguts ist nicht nur als mögliche Spottgeste zu verstehen, sondern auch als konkrete Markierung einer Krise: Der Auftritt des Tiers auf den Bühnen der Menschen ist immer auch eine Störung, die Strategien des Umgangs nötig macht oder zumindest Fragen nach dem Verhältnis zwischen Ästhetik und Repräsentation aufwirft. Das 16. Bremer Filmsymposium hat am Wochenende internationale Forscher aus Film- und Medienwissenschaft im Kino 46 zusammengeführt, um mögliche Antworten auf solche Fragen zu finden.

Klirrender Schrei

Die spezifische Ästhetik des Eselsschreis konturierte Ute Holl in Abgrenzung von einer rein dokumentarischen Registern verpflichteten Ästhetik der Tierstimmenarchive und Pierre Schaeffers Experimentalkompositionen, die einen reinen, vom Tonkörper losgelösten Sound suchen. Im klirrenden Schrei des Esel Balthazars hingegen tritt die Materialität von Sound und Kanal zutage, die in einer widerständig quer zum Bild stehenden Montage den Esel selbst zwischen Ding und Kreatur verortet.

Die Frage nach der Medialität von Tieren im Film entpuppte sich bald als roter Faden des Symposiums: Den Interaktionen zwischen Tier und Mensch unter den technisch herausfordernden Bedingungen gerade der frühen Tierdokumentationen von Jean Painlevé ging Jonathan Burt nach, verlor dabei aber bei zahlreichen Assoziationen gelegentlich seine These aus den Augen. Diese lässt sich wohl analog zur Heisenberg’schen Unschärferelation begreifen: Die Induktion einer technisch gestützten Beobachtung beeinflusst das Verhalten des Gegenstands.

Als instruktiver erwies sich Sabine Nessels kulturhistorisch informierte Verschränkung einer gemeinsamen Genealogie von Zoo und Kino aus sich wandelnden Schauordnungen im 19. Jahrhundert mit einer Motivgeschichte des Zoos im Film: Zoo und Kino bringen in ihrer jeweiligen Organisation von Exponat und Blick mediale Tiere hervor, auch in der konkreten Präsenz des Zootiers. Nessel schloss ihren Vortrag mit einer Analyse von Nicolas Philiberts Dokumentarfilm „Nénette“ über die gleichnamige prominente Orang-Utan-Dame im Pariser Zoo, dessen reduzierter ästhetischer Modus sie als Reflexion über den medialen Charakter von Zootieren begreift.

Die weitreichenden Folgen des digitalen Animationsfilms für das Tier skizzierten Herbert Schwaab und Vinzenz Hediger. Der hier eingeebnete Gegensatz zwischen Spektakel- und reinen Handlungsszenen unter einer Logik allumfassender Realisierbarkeit, die dem digitalen Animationsfilm von Anbeginn anhaftet, ist laut Schwaab als Facette einer profund gewandelten Medienkultur zu fassen. Diese bringt gerade in mit ihrer Verweigerungshaltung gegenüber Maßgaben einer perfektionistischen Oberflächenästhetik kokettierenden Filmen wie „Der fantastische Mr. Fox“ und „Wo die wilden Kerle wohnen“ uneindeutige Tiere zwischen Zivilisiertheit und ungezügelter Animalität hervor, die darüber mit melancholischem Blick auf sich und in die Welt reflektieren.

Grille der medialen Natur

Ausgehend von einer Taxonomie, die zwischen rekonstruiertem (z. B. Dinosaurier), virtuellem (also rein fiktionalem) und referenziell verbindlich aufgenommenem Archivtier unterscheidet, schlug Hediger eine Biologie des Filmtiers unter besonderer Berücksichtigung der ausschließlich medialen Habitate der beiden ersten Typen vor. Im äußerlichen Elefant mit Verhalten eines Haushunds präsentierte Hediger filmtheoretisch anspruchsvoll die Möglichkeiten einer unendlichen Mutabilität eines evolutionär verstandenen Animationsfilms, ohne dabei zu verschweigen, dass solche Grillen der medialen Natur im animationsevolutionären „Survival of the fittest“ meist unterlegen sind. Kläffende, apportierende Elefanten bleiben einem herkömmlichen Darstellungen verpflichteten Kino, den Wünschen des vergnügten Tagungspublikums zum Trotz, weiterhin die Ausnahme.

Die klassische Cinephilie geriet bei solch theoretisch argumentierenden Darlegungen mitunter ins Hintertreffen. In einer psychoanalytisch verbundenen Lektüre von Hawks’ „Leoparden küsst man nicht“ machte Raymond Bellour die darin verborgenen Trieb-/Triebverzichtsstrukturen anhand einer Analyse der Handlungsfunktion der zahlreichen Tiere sichtbar.

Am Anfang der Kinematografie, in den Aufnahmen von Marey und Muybridge, stehen, wie an deren diesseitigem Ende, Tierbilder. Dazwischen häufen und ballen sie sich, über Genre- und Modusgrenzen hinweg. Dass sich die zahlreich aufwerfenden Fragen nach weiteren Aspekten einer Kulturgeschichte der Tiere im Film nicht als Defizite des Symposiums, sondern als Angebote zur Weiterführung über ihren Rahmen hinaus bemerkbar machten, zeichnete es abschließend aus. Das Tier im Film bleibt, auf allen Ebenen, Work in progress.