Der „Spiegel“ und seine zähe Vergangenheitsbewältigung
: Nie antifaschistisches Geschütz

1996, als der fünfzigste Geburtstag des Spiegel ansteht, muss der Journalist und Medienwissenschaftler Lutz Hachmeister hausieren gehen. Er hat ein umfängliches Dossier zur Verstrickung von ehemaligen Nazis in den Anfangsjahren des Spiegel recherchiert. Doch keiner will es drucken – selbst Auftraggeber Manfred Bissinger von der später eingestellen Woche lehnt den Text ab.

Solange Herausgeber Rudolf Augstein lebt, ist die Beschäftigung mit der Vergangenheit des Magazins tabu. Als die taz schließlich Hachmeisters Text am 27. Dezember 1996 („Mein Führer, es ist ein Wunder!“) veröffentlicht, ist dies nicht mehr möglich: Die Tatsache, dass in den Fünfzigerjahren zwei Spiegel-Ressorts von ehemaligen SS-Offizieren geleitet wurden, ist in der Welt.

„Von taktischen Überlegungen und personalen Konstellationen hing es ab, ob der Spiegel jemanden wegen seiner NS-Vergangenheit verfolgte“, fasst Hachmeister zusammen: „Mit einem grundsätzlichen Verlangen nach moralischer oder politischer ‚Reinigung‘ hatte diese Kasuistik wenig zu tun.“

Bei Horst Mahnke und Georg Wolff, zwei SS-Offizieren und Exspezialisten in Reinhard Heydrichs „Sicherheitsdienst“ (SD), lagen die taktischen Überlegungen so: Im Nachkriegsdeutschland waren sie mittlerweile als Marktbeobachter beim Kaffeeimportkontor im Hamburger Freihafen beschäftigt. 1950 boten sie dem Spiegel eine Serie über Kaffeeschmuggel an. Das Magazin nahm dankend an – und die Grundsteine für zwei der zweifelhaftesten Karrieren beim Spiegel waren gelegt. Mahnke stieg bald zum Ressortleiter „Internationales/Panorama“ auf, Wolff zum Auslandschef. Während Mahnke schließlich zu Springer wechselte, blieb Wolff in der Brandstwiete. Aufstiegsambitionen machte Augstein aber zunichte: Mit Verweis auf dessen SD-Vergangenheit lehnte der Herausgeber Wolffs Beförderung zum Chefredakteur ab.

In seinem kürzlich erschienenen Buch „Der Spiegel – ein Besatzungskind“ (Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2006, 230 Seiten, 19,90 Euro) arbeitet Leo Brawand, Wirtschaftsredakteur in der Gründungsredaktion des Magazins, die Nazivergangenheit von zwei anderen wichtigen Mitarbeitern heraus: Hans Detlev Becker, Redaktionsmanager und als Augstein-Berater maßgeblich an der Berufung von Wolff und Mahnke beteiligt, war ein ehrgeiziger Jungenschaftsführer in der Hitlerjugend. Ebenso konnte Hans Dieter Jaene, langjähriger Ressortleiter „Deutschland I“, auf eine faschistische Sozialisation in Familie und Partei zurückblicken. In Schlüsselpositionen stiegen beide während der NS-Zeit aber nie auf.

Trotz dieser Ergänzungen teilt Brawand die Einschätzung Hachmeisters nicht, der Spiegel hätte seinen eigenen kritischen Ansprüchen nicht genügt: „[…] Der Spiegel hat sich nie als ‚antifaschistisches Geschütz‘ verstanden. Er wollte die Demokratie. Er hat versucht, die NS-Jahre kritisch zu untersuchen, und dabei neben Kritik auch viele Informationen aus dieser Zeit zusammengetragen.“ HANNAH PILARCZYK