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Archiv-Artikel

Von der islamischen Baukultur inspiriert

PAUL BONATZ Das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main zeigt eine große Schau des Konstrukteurs des Hauptbahnhofs von Stuttgart. Der Vertreter einer konservativen Moderne arrangierte sich während seiner Karriere stets mit den politischen Machthabern

Der Bahnhof ist eines der gelungensten Beispiele der gemäßigten Moderne in Deutschland. Er verdeutlicht, dass sich Bonatz in den zwanziger Jahren zwischen alle Stühle setzte – zwischen Reaktion und Fortschritt, zwischen internationale Avantgarde und traditionelle Architektur

VON KLAUS ENGLERT

Um es vorwegzusagen: Als die Kuratoren des Deutschen Architekturmuseums die Paul-Bonatz-Ausstellung planten, dachten sie keineswegs an den Streit, der durch den Abriss des Stuttgarter Hauptbahnhofs entstand. Das Frankfurter Museum widmete sich immer wieder den Vertretern der konservativen Moderne. Und da war es naheliegend, auch einen der großen Architekten des frühen 20. Jahrhunderts vorzustellen, der 1927 das monumentale Wahrzeichen von Stuttgart vollendete.

Natürlich ließ man es sich in der monografischen Schau nicht nehmen, Bonatz’ Hauptwerk mit Modell, Entwurfsskizzen und zahlreichen historischen Aufnahmen in den Vordergrund zu stellen. Denn der Bahnhof ist eines der gelungensten Beispiele der gemäßigten Moderne in Deutschland. Er verdeutlicht, dass sich Bonatz in den zwanziger Jahren zwischen alle Stühle setzte – zwischen Reaktion und Fortschritt, zwischen internationale Avantgarde und traditionelle Architektur.

Der Stuttgarter Hauptbahnhof vermittelt anschaulich die ganze Palette dieser Widersprüche. Einerseits ist er ein aus Bruchsteinen gefügtes monumentales Ensemble, mit den konventionellen Würdeformeln einer repräsentativen Architektur – wie etwa der lang gestreckten Kolonnade neben dem majestätischen Torbogen des Haupteingangs. Doch es gibt auch ein Andererseits. Da Bonatz seinerzeit aufgeschlossen war für die in Berlin entstandene Moderne, strukturierte er die Baumassen in ein spannendes Gefüge unterschiedlicher Kubaturen. Zusammen mit einem als Stadtkrone aufragendem Turmgebäude, dessen Platzierung am rechten Seitenflügel Bonatz’ Gespür für klare Proportionen und Formen verrät.

Aber das alles ist Historie. In unserer Zeit, die Bonatz’ Bahnhof allzu schnell als monströses Ungetüm abqualifiziert und dabei einzig die Segnungen des technologischen Fortschritts preist, fordert die Frankfurter Ausstellung einen Augenblick der Besinnung ein, um endlich auch die architektonischen Qualitäten des Bauwerks zu würdigen. Nun konnte Kurator Wolfgang Voigt zu dem reich facettierten Bild des Hauptbahnhofs einen weiteren, überraschenden Aspekt hinzufügen. Voigt korrigierte die hergebrachte Auffassung, das Bauwerk verrate Einflüsse aus der altägyptischen Tempelarchitektur. Das stimmt nämlich nur zum Teil. Denn ein kürzlich entdeckter Fund zeigt die im 14. Jahrhundert errichtete Kairoer Sultan-Hassan-Moschee, die der Ägypten-Reisende Paul Bonatz 1913 gleich mehrfach zeichnete. An den Skizzen lässt sich ablesen, dass er sich von der islamischen Baukultur inspirieren ließ. Diese Orientbegeisterung traf allerdings den Geist der Zeit, denn nur ein Jahr später brachen Paul Klee und August Macke zu ihrer legendären Tunis-Reise auf.

Die sachliche Ausstellung, die ganz ohne moderne Präsentationstechniken auskommt, korrigiert zu Recht das allgemeine Bild vom antimodernen Paul Bonatz. Tatsächlich ist die Wirklichkeit wesentlich komplexer. Es ist für einen Architekten seiner Generation keinesfalls zufällig, dass er sich mehreren politischen Systemen andiente: dem Kaiserreich, später der Weimarer Republik, dann der nationalsozialistischen Diktatur und schließlich der bundesrepublikanischen und türkischen Demokratie.

Ebenso wie sein großer Kontrahent Wilhelm Kreis passte sich Paul Bonatz den gerade aufstrebenden Stilen an, die eng mit den politischen Ordnungen verbunden waren. Das trifft auch für das in der Ausstellung dokumentierte Verwaltungsgebäude des Stumm-Konzerns zu, der auf den ersten Düsseldorfer Hochhaus-Wettbewerb von 1921 zurückgeht. Bonatz gewann den Wettbewerb mit einem vertikal gegliederten, gotisierenden Gebäudeentwurf. Damit bediente er erfolgreich den Expressionismus, der nach dem Ersten Weltkrieg den wilhelministischen Zyklopenstil der Bismarcktürme und Völkerschlacht-Denkmäler ablöste.

Bonatz erkannte schnell den Geist der Zeit, verabschiedete derweil den unzeitgemäß gewordenen Entwurf für den Stuttgarter Hauptbahnhof und dockte bei der modernen Architektursprache eines Bruno Taut und Hans Scharoun an. Dennoch konnte Paul Bonatz niemals verbergen, dass er mit dieser Richtung gehörig fremdelte. Das wird im Düsseldorf der zwanziger Jahre deutlich, wo sich Paul Bonatz und Wilhelm Kreis, der ebenfalls hin und wieder mit der Moderne liebäugelte, die großen Bauaufträge untereinander zuspielten. Trotzdem traten beide Architekten, die in München und Stuttgart eine traditionelle Architekturausbildung genossen, für eine konservative und nationale Baugesinnung ein. Sie gehörten zu einer breiten Strömung, die nach dem Ersten Weltkrieg von einer antiamerikanischen Haltung besessen war und in Düsseldorf die „Germanisierung des Wolkenkratzers“ (Rainer Stamm) anstrebte.

Neben Wilhelm Kreis, der später von Hitler zum Generalbaurat berufen wurde, gehörte Paul Bonatz zu den unumstrittenen Großarchitekten der Weimarer Republik. Kurz vor Fertigstellung des Stuttgarter Hauptbahnhofs musste Bonatz, der Patriarch der „Stuttgarter Schule“, mit ansehen, dass ausgerechnet der Berliner Ludwig Mies van der Rohe im Vorort Weißenhof eine international beachtete Wohnungsausstellung leitete, an der auch Le Corbusier und Theo van Doesburg teilnahmen. Bonatz fühlte sich offenbar übergangen und polemisierte im Schwäbischen Kurier, die flachen Kuben in Weißenhof erinnerten ihn „eher an eine Vorstadt Jerusalems als an Wohnungen für Stuttgart“. Der Schwabe Bonatz holte zum Gegenschlag aus, als er 1928 seine Gesinnungsgenossen zum nationalen „Block“ zusammenschloss und, unweit von Weißenhof, zusammen mit Paul Schmitthenner die Kochenhof-Siedlung errichteten ließ.

Das geschah im Frühsommer 1933 und war unmissverständlich als völkisches Gegenprogramm zur verhassten Weißenhof-Siedlung geplant. Bonatz empfahl sich damit wärmstens bei der neuen Reichsregierung, die angetan war von der deutschen Biederkeit und den adretten Satteldachhäusern.

Leider fehlt in der Ausstellung ein deutlicher Verweis auf dieses ideologische Siedlungsprojekt. Allerdings wird keinesfalls geleugnet, dass das NS-Regime Bonatz’ steilen Aufstieg in der Architektenhierarchie eifrig gefördert hat. Da verhielt er sich nicht anders als Wilhelm Kreis, Paul Schmitthenner, Friedrich Tamms oder Helmut Hentrich, die mit opportunistischem Eifer nach lukrativen Bauaufträgen gierten. In den letzten Kriegsjahren wurde Bonatz sogar zur Mitarbeit an den „Führerstädten“ herangezogen. Für Berlin entwarf er das Oberkommando der Kriegsmarine – ein erschreckender Entwurf, der die ganze Anbiederung der Architekten an Speers mediokren Baustil und die NS-Bauideologie unmittelbar vor Augen führt. Und für München ließ sich Bonatz von Albert Speer und Hermann Giesler dazu drängen, für den neuen Hauptbahnhof eine völlig überdimensionierte Kuppel zu bauen. Paul Bonatz gefiel sich zwar als Architekt der neuen Reichsbauten, doch in Wirklichkeit war er Vollstrecker von Hitlers Megalomanie.

Wirklich erfolgreich war er nur als künstlerischer Berater der Organisation Todt, die mit riesigem Propagandawirbel die Trassierung der Reichsautobahnen vorantrieb. Der Erfolg von Bonatz, der für die „Straßen des Führers“ insgesamt 24 Brücken errichtete, lag darin, Brücken nicht nur als reine Ingenieursleistung zu betrachten. Im Brückenbau beschritt er neue Wege und er war dabei der Erste, der die steinernen Monumente nicht als allein selig machendes Dogma ansah. Was die Ausstellung übersieht: Seine moderne Stahlbetonbrücke in Köln-Rodenkirchen wurde sogar in Gerdy Troosts NS-Propagandawerk „Bauen im neuen Reich“ gewürdigt.

Leider übergeht die Ausstellung auch, dass sich Paul Bonatz in der jungen Bundesrepublik für die „verwaisten“ Architekten des Berliner Generalbauinspektors Albert Speer einsetzte, der damals im Spandauer Gefängnis einsaß. Dem von Hitler zum Professor an der TH Berlin ernannten Friedrich Tamms ebnete Bonatz den Weg nach Düsseldorf, wo er seine Getreuen aus der Berliner Zeit um sich scharte, mit lukrativen Aufträgen versorgte und zum allmächtigen Baudezernenten aufstieg. 1946 schrieb Bonatz an Tamms: „Wenn Du in Düsseldorf Fuß fassen könntest, gut, in der komischen Anstalt Berlin keine Zukunft, die nächsten 20 Jahre nicht.“ In dieser Zeit weilte Paul Bonatz bereits in der republikanischen Türkei – als „stiller Weiser im Morgenland“, wie sich Tamms ausdrückte. Dorthin setzte er sich endgültig Anfang 1944 ab. Bonatz stellte seine Ausreise als „Flucht aus dem Wahnsinn“ dar.

Tatsächlich hatte er sein „Exil“ wohlüberlegt vorbereitet und frühzeitig Kontakte geknüpft. Als international bekannter und einflussreicher Architekt sicherte er sich in Ankara den Posten als Berater des Bauministeriums. Die türkische Architekturhistorikerin Burcu Dogramaci schreibt im Ausstellungskatalog, der 69-Jährige sei als Professor an die Technische Universität Istanbul berufen worden, als freier Architekt habe er lukrative Bauaufträge erhalten und wesentlich zur „Zweiten Nationalen Architekturbewegung“ in der Türkei beigetragen.

Das war zu einer Zeit, als junge türkische Architekten begierig die Einflüsse aus dem westlichen Ausland aufsogen. Diesem Trend passte sich auch das Chamäleon Bonatz erfolgreich an und errichtete 1955 ein im International Style entworfenes Hotel in Izmir. Doch damit war endgültig auch die türkische Periode des Paul Bonatz beendet. Wieder einmal musste sich der deutsche Architekt der Übermacht staatlicher Macht beugen. Denn auf Betreiben der Architektenkammer wurde ein Gesetz verabschiedet, das es ausländischen Architekten verbietet, freiberuflich in der Türkei zu arbeiten. So scheiterte der alte Paul Bonatz dieses Mal in seinem Bemühen, sich mit den politischen Machthabern zu arrangieren, auf die er Jahrzehnte erfolgreich gesetzt hatte.

■ „Paul Bonatz 1877–1956. Leben und Bauen zwischen Neckar und Bosporus“. Deutsches Architekturmuseum in Frankfurt, bis 20. 3. 2011, mit Ausstellungskatalog für 35 Euro

■ Der Autor Klaus Englert ist Architekturkritiker. Im letzten Jahr erschien von ihm in der Edition Axel Menges das Buch „New Museums in Spain“ (Deutsch/Englisch), mit 277 farbigen Abbildungen, 200 S., 69 Euro